Feuer im Grenfell Tower: Eine vermeidbare Tragödie

Interview mit NAX-Pate hhpberlin

Der Grenfell Tower in Flammen

Der Grenfell Tower in FlammenBy Natalie Oxford, via Wikimedia Commons

Der verheerende Brand im Londoner Grenfell Tower erschütterte im Sommer die Architektur- und Brandschutzszene in Großbritannien und Europa. Mindestens 80 Menschen starben bei der Katastrophe am 14. Juni 2017, die der Bürgermeister von London, Sadiq Khan, eine „vermeidbare Tragödie“ nannte. Mittlerweile ist klar, dass ein defekter Kühlschrank im 16. Stockwerk den Brand auslöste und dass unter anderem die Fassadenverkleidung eine entscheidende Rolle bei der rasanten Ausbreitung des Feuers gespielt hat. Ansgar R. Gietmann, Brandschutzexperte beim weltweit agierenden NAXNAX Netzwerk Architekturexport-Paten hhpberlin, leitet die Niederlassung im Hochhaus-Mekka Frankfurt am Main und ist dort aktuell unter anderem für das Brandschutzkonzept des neuen Henninger Turms zuständig. Wir haben ihn zu den Hintergründen des Grenfell Tower Feuers und den Herausforderungen des Brandschutzes in Wohnhochhäusern befragt.

NAX: Herr Gietmann, die britischen Medien und die Öffentlichkeit reagierten nach dem verheerenden Grenfell Tower Feuer – zu Recht – empört, schließlich war der Turm erst im letzten Jahr umfangreich saniert worden. Wie konnte es trotz der Modernisierungsmaßnahmen zu einer solchen Katastrophe kommen?

Gietmann: Die genauen Ursachen für die schnelle Ausbreitung des Feuers werden immer noch aufgearbeitet. Ein erster Zwischenbericht der Untersuchung wird im März erwartet. Man kann aber jetzt schon festhalten, dass mehrere Faktoren zu dem Großbrand geführt haben. Zum einen wurde bei der Modernisierung des Hochhauses im Jahr 2016 eine Fassadendämmung verbaut, die in ihrem Kern brennbares Material enthält. Wenn dies, wie beim Grenfell Tower, in einer Kaschierung aus nicht-brennbarem Material, hier Metall, erfolgt, ist das nach britischen Standards auch nicht verboten. Bei einem Feuer dieses Ausmaßes kann es jedoch dazu kommen, dass die Kaschierung beschädigt wird, so der brennbare Kern entflammt und die ganze Fassade in Brand gerät. In Deutschland ist es verboten, brennbare Materialien in Hochhäusern  ab einer Höhe von 22 Metern zu verwenden, auch nicht in Kombination mit einer Kaschierung.

Zusätzlich zur Fassade konnte sich der Brand über geschossübergreifende Durchbrüche ausbreiten, die im Zuge der Erneuerung des Heizungssystems im Innern des Gebäudes entstanden sind. Diese Öffnungen haben beim Ausbruch des Feuers wie ein Kamin fungiert und die schnelle Ausbreitung der Flammen im Gebäudeinnern bewirkt.

Für die sogenannte Selbstrettung der Turm-Bewohner erwies es sich außerdem als fatal, dass nur eine Treppe vorhanden war und es wohl keine zentrale Sprinkleranlage gab. Auch in Deutschland ist bei Gebäuden unter 60 Metern nur ein Treppenhaus vorgeschrieben. Dieses muss allerdings über eine Rauchschutzdruckanlage verfügen, die den Treppenraum im Brandfall von Rauch freihält und passierbar macht. Bei Gebäuden über 60 Meter müssen hierzulande standardmäßig zwei Treppenhäuser mit Rauchschutzdruckanlagen verbaut werden. 

Ansgar R. Gietmann

Ansgar R. Gietmannhhpberlin

NAX: Es klang gerade schon an: Die britischen Brandschutzvorschriften sind im Vergleich zu deutschen Regelungen deutlich weniger streng. Werden angesichts der Katastrophe nun schärfere Gesetze diskutiert?

Gietmann: Natürlich ist das bei den Briten jetzt Thema. Ich wäre aber immer vorsichtig damit, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Ein entscheidendes Problem beim Grenfell Tower war die mangelhafte Überprüfung der bestehenden Brandschutzvorschriften – und da gab und gibt es auch in Deutschland Defizite. In den 80er und 90er Jahren wurde bei der Inbetriebnahme öfter nicht so genau hingeschaut. Das ist dann bei späteren Inspektionen aufgefallen und es mussten teure Nachbesserungsmaßnahmen durchgeführt oder in manchen Fällen sogar Gebäude abgerissen werden. Heutzutage ist der zeitliche und finanzielle Druck auf Großbaustellen enorm hoch. Unter solchen Bedingungen einen fachgerechten Brandschutz zu gewährleisten, ist eine Herausforderung und führt, wie bei einem prominenten Berliner Beispiel gerade erlebt, auch zu Problemen.

NAX: In Deutschland wird aktuell wieder über Wohnhochhäuser als Mittel der urbanen Nachverdichtung diskutiert. Wie bewerten Sie diesen Gedanken aus der Brandschutzperspektive? Vor welchen Herausforderungen stehen Brandschutzingenieure dabei?

Gietmann: Die größte Herausforderung aus Brandschutzsicht sind bei Wohnhochhäusern sicherlich die schon angesprochenen Rettungswege. Ab einer bestimmten Höhe hat die Feuerwehr keine Möglichkeit mehr, die oberen Stockwerke mit einer Drehleiter über die Fassade zu erreichen. Dann muss die Rettung vollständig über den Hochhauskern erfolgen. Aus diesem Grund ist in Deutschland bei Gebäuden über 60 Meter das zweite Treppenhaus Pflicht. Treppenhäuser verbrauchen aber nun einmal wertvollen Platz, der dem Architekten und dem Bauherrn nicht mehr für die Beplanung mit Wohnraum zur Verfügung steht. Dieses Problem müssen Architekten und Ingenieure gemeinsam lösen. Daher kämpfen wir vor allem bei Hochhausprojekten immer darum, so früh wie möglich in den Planungsprozess einbezogen zu werden. Das klappt bei Architekturbüros, die bereits Erfahrung im Hochhaussegment haben, meist auch sehr gut.

NAX: Vielen Dank für diesen Blick hinter die Fassade, Herr Gietmann!


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