Brasiliens Bauwirtschaft verzeichnet 2018 das fünfte Jahr in Folge rückläufige Umsätze. Über öffentlich-private Partnerschaften soll ab 2019 der Infrastrukturausbau wieder anlaufen.
Inhaltsverzeichnis
1. Marktlage und -entwicklung im Hochbau
2. Büro-/Industrie-/Gewerbebau
3. Bau öffentlicher Gebäude
4. Gebäudemodernisierung und -sanierung
5. Konkrete Marktchancen für deutsche Produkte und Dienstleistungen
6. Projekte
MARKTLAGE UND -ENTWICKLUNG IM HOCHBAU
Im ersten Halbjahr 2018 hielten sich die Baugesellschaften in São Paulo, Brasiliens wichtigstem Immobilienmarkt, stark zurück. Hintergrund war die Rechtsunsicherheit bezüglich der neuen Zoneneinteilung in der Bauleitplanung (Lei de Zoneamento). Auch der Streik der Lkw-Fahrer im Mai und die Verschlechterung der Konjunktur sowie die politische Unsicherheit bremsten die Angebotsentwicklung des Sektors. Der Verband der Immobiliengesellschaften São Paulos Secovi-SP rechnet für 2018 mit einem Rückgang um 8 Prozent bis 10 Prozent auf nur etwa 28.000 Neuprojekte im Wohnungsbau São Paulos.
Dafür zog der Verkauf im ersten Halbjahr um 52 Prozent an. Für das Gesamtjahr erwartet Secovi-SP eine Steigerung um 10 Prozent bis 17 Prozent auf einen Verkauf von etwa 27.000 Neubauwohnungen. Laut dem Vize-Präsident von Secovi-SP, Flávio Prando, kurbelte insbesondere die hohe Nachfrage nach kompakten und preisgünstigen Wohnungen zu günstigen Finanzierungsbedingungen den Verkauf an. Die Anzahl der zum Verkauf stehenden Wohnungen ging auf 17.500 zurück und lag 2018 konstant unter der 20.000-Marke.
Landesweit ergab eine Erhebung unter 16 börsennotierten Immobilienbaugesellschaften eine Verkaufssteigerung im ersten Halbjahr um 25 Prozent auf einen Gesamtwert von 7,6 Milliarden brasilianische Real (R$; rund 1,8 Milliarden Euro; durchschnittlicher Wechselkurs von Januar bis August 2018: 1 Euro = 4,2325 R$). Infolge der Konjunkturentwicklung fiel das erste Quartal jedoch deutlich besser aus als das zweite. Mit dem Vertrauen in die wirtschaftliche Erholung sanken auch die Erwartungen der Baukonzerne.
Bauprojekte für das staatliche Wohnungsbauprogramm Minha Casa, Minha Vida (MCMV) gewinnen für viele der Gesellschaften an Bedeutung. Für 2019 sind die Aussichten auf Wachstumsimpulse durch MCMV jedoch mager. Brasiliens Staatshaushalt ist knapp bemessen. Das vorgesehene Budget von 4,6 Milliarden R$ ist das niedrigste seit 2009. Die Stadt São Paulo will erstmals Konzessionen für öffentlich-private Investitionsprojekte des Sozialwohnungsbaus versteigern. In den kommenden sechs Jahren ist der Bau von 34.000 Sozialwohnungen vorgesehen.
Laut dem Preisindex FipeZap des Forschungsinstituts Fipe (Fundação Instituto de Pesquisas Econômicas) findet sich der höchste durchschnittliche Mietpreis pro Quadratmeter von derzeit 37 R$ in São Paulo, gefolgt von Rio de Janeiro, dem Regierungsdistrikt Brasília, Santos (São Paulo) und Recife (Pernambuco). Deutlich niedrigere Durchschnittspreise von etwa 20 R$ pro Quadratmeter erzielen Wohnungen in den nächst teureren Städten Florianópolis (Santa Catarina), Porto Alegre (Rio Grande do Sul), Campinas (São Paulo), Niteroi (Rio de Janeiro) und anderen Großstädten.
Der höchste durchschnittliche Kaufpreis von 9.494 R$ pro Quadratmeter wird in Rio de Janeiro gezahlt. Darauf folgen São Paulo, Brasília, Niterói, Florianópolis und Belo Horizonte (Minas Gerais). Fortaleza (Ceará) und Recife weisen bereits einen gemäßigteren Durchschnittspreis unter 6.000 R$ pro Quadratmeter auf. Dem FipeZap-Index zufolge stagnieren die Kaufpreise seit 2016. Der Mietpreis steigt wieder, allerdings zu einer etwas geringeren Rate als der Inflationsindex IPCA.
Ohne eine Erholung der Kaufkraft und des Vertrauens bleiben die Aussichten auf eine Belebung des Immobilienmarktes verhalten. Zu einem expressiven Wachstum wird es wohl auch 2019 nicht kommen. Dafür, dass der Wohnungsbau mittelfristig wieder an Fahrt gewinnen dürfte, spricht das hohe Wohnungsdefizit Brasiliens. Nach Berechnungen der Stiftung Getúlio Vargas (FGV) benötigten 2015 bereits 7,7 Millionen Brasilianer eine Wohnung. Der soziale Wohnungsbau wird ein wichtiges Thema bleiben.
Brasiliens Markt für Büro- und Gewerbeimmobilien verzeichnet nach wie vor einen hohen Leerstand. Besonders stark betroffen sind Büros in Rio de Janeiro mit einer Leerstandsquote von über 40 Prozent. Für Logistikhallen steigt der Leerstand voraussichtlich bis Ende des Jahres auf knapp 35 Prozent an. Die Immobiliengesellschaft Colliers schätzt, dass zwischen 2014 und 2018 etwa 600.000 Quadratmeter an neuen Büro- und Gewerbeimmobilien hinzugekommen sind. Zeitgleich höhlte die schwere Rezession die Nachfrage aus. Mit einer Verbesserung ist frühestens ab 2020, wahrscheinlich erst ab 2021 zu rechnen.
Die Leerstandsquote für Büros in São Paulo geht bereits seit Ende 2016 zurück, liegt jedoch noch immer deutlich über der 20-Prozentmarke. Von Quartal zu Quartal nehmen die Quadratmeterpreise leicht ab. Ohne eindeutige Signale für ein erneutes Aufleben der brasilianischen Wirtschaft halten sich die Investoren weiter zurück. Für Bürofläche sehen die Immobiliengesellschaften und Beratungsunternehmen in São Paulo derzeit frühestens ab 2019 Raum für neue Projekte. Im Bereich der Logistikimmobilien beträgt der Leerstand derzeit knapp 25 Prozent. Der niedrige Anteil erstklassiger Hallen spricht jedoch für einen erneut zunehmenden Bedarf an modernen Logistikzentren.
Auch in der Rezession verzeichnen die Geschäfte in den mittlerweile 578 Shoppingcentern des Landes ein Umsatzwachstum. Für 2018 geht der Verband der Shoppingcenter Associação Brasileira de Shopping Centers (Abrasce) insgesamt von einem Wachstum um 6 Prozent aus. Das Interesse der Investoren bleibt bestehen. In Folge der Krise und nur langsamen Erholung verzögert sich allerdings die Umsetzung der langfristig geplanten Projekte. Abrasce registrierte 2017 die Eröffnung von zwölf neuen Zentren. 2018 sollen insgesamt 21 und 2019 weitere sechs Shoppingcenter hinzukommen. Neben den Metropolregionen konzentriert sich der Zubau auf kleine und mittelgroße Städte.
Neue Shoppingprojekte kündigten 2018 nur die Gruppen Tacla und Mega Moda an. Darüber hinaus veröffentlichten jedoch die großen Einzelhandelsketten Havan, Carrefour und Walmart sehr ehrgeizige Investitionspläne. Viele Betreiber setzen auf eine kontinuierliche Umgestaltung der Shoppingcenter. Im Trend liegen neben der Optimierung der Sicherheitsvorkehrungen grüne Erholungsbereiche und kleine überschaubare Ladenlokale. Brasiliens Shoppingcenter sind keine reinen Einkaufszentren. Zusätzlich zu den zahlreichen Restaurants finden sich auch Kinos, Arztpraxen, Büroräume, Hotels, Bildungseinrichtungen und vielfältige Dienstleistungsangebote.
Die leeren öffentlichen Kassen, die ineffiziente Verwaltung und die mangelhafte Planung treiben die Zahl der nicht abgeschlossenen öffentlichen Bauprojekte in Rekordhöhen. Einer aktuellen Erhebung zufolge liegen allein auf Ebene des Bundes 7.000 öffentliche Baustellen still. Die Verluste liegen in Milliardenhöhe. Für die Fertigstellung dieser Bauten rechnet die Studie des Beratungsunternehmens InterB im Auftrag der Kammer der Bauwirtschaft Câmara Brasileira da Indústria da Construção (Cbic) mit erforderlichen Investitionen von insgesamt 76 Milliarden R$. Bei Einbeziehung der unfertigen Bauten der Bundesstaaten und der Gemeinden verdoppelt sich diese Summe beinahe.
Dabei handelt es sich nicht nur um Projekte des Transportinfrastrukturausbaus. Betroffen sind viele Schulen und Kindergärten, Gesundheitseinrichtungen, Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, Gefängnisse und andere öffentliche Gebäude sowie Industriebauten der staatlichen Konzerne wie beispielsweise Rio de Janeiros Petrochemiekomplex Comperj.
Die ehrgeizigen Pläne der Regierung unter Michel Temer zur Vergabe von öffentlich-privaten Partnerschaften konnten nur teilweise realisiert werden. Um private Investoren für die Projekte zu gewinnen muss die nächste Regierung Verlässlichkeit und gut strukturierte Rahmenbedingungen bieten. Dies gilt natürlich auch für die zahlreichen Projekte auf Ebene der Bundesstaaten und Gemeinden, denen es oft noch an technischem Knowhow und Erfahrung für die Ausschreibung von Projekten mangelt.
GEBÄUDEMODERNISIERUNG UND -SANIERUNG
Dank sinkender Preise und neuer Finanzierungsbedingungen der staatlichen Bank Caixa Econômica Federal (CEF), die rund 70 Prozent aller Immobilienkredite in Brasilien stellt, ergaben sich im ersten Quartal 2018 erstmals Anzeichen für eine steigende Nachfrage nach gebrauchten Immobilien in São Paulo. Der allgemeine Vertrauensverlust im zweiten Quartal dämpft jedoch die Erwartungen für das Gesamtjahr.
Der spekulative Kauf gebrauchter Immobilien lohnt sich für die Gesellschaften nicht. Dafür gingen die Preise nicht stark genug zurück. Ein neuer Markt für renovierte Immobilien entstand daher bislang nicht. Dazu war es zuletzt während des Immobilienbooms zwischen 2008 und 2013 in Rio de Janeiro gekommen, als die Nachfrage so rasant anstieg, dass der Neubau nicht schnell genug nachkam.
Ungenutzter Wohnraum sorgt zunehmend für Schlagzeilen. Allein in São Paulo stehen wenigstens 1.100 Gebäude leer. Die Stadt versucht durch progressive Grundbesitzabgaben dem Leerstand entgegenzuwirken. Viele Immobilien gehören jedoch der öffentlichen Hand. Laut einer Erhebung der Agentur für Investigationsjournalismus Pública finden landesweit über 10.000 Gebäude der Bundesregierung keine Verwendung. Wenigstens ein Teil könnte als Wohnraum genutzt werden. Der Reformbedarf der öffentlichen Immobilien rückte durch den Abbrand des Nationalmuseums in Rio de Janeiro ins Zentrum der Aufmerksamkeit.
KONKRETE MARKTCHANCEN FÜR DEUTSCHE PRODUKTE UND DIENSTLEISTUNGEN
Anders als bei vielen Konsumgütern sind die Brasilianer im Wohnungsbau traditionell eher konservativ. Beispielhaft ist der kontinuierliche Erfolg der traditionellen Baukonzerne, die seit Jahrzehnten kaum in der Architektur variieren und sehr kostenorientiert bauen. Trends zu neuen Baustoffen oder sogar Bauweisen entwickelten sich bislang nur sehr langsam – es sei denn, sie eröffnen unmittelbar spürbare Kostenvorteile.
Das könnte sich bald ändern, meint Antônio Robazzi, Geschäftsführer von ARC. Das brasilianische Ingenieurbüro konnte von 2014 bis 2018, also genau in den Jahren der Rezession, seinen Umsatz um rund 40 Prozent steigern. Zu den Kunden gehörten viele multinationale Industrieunternehmen und Dienstleister, insbesondere deutsche Unternehmen, die überdurchschnittliche Qualität nachfragen.
Robazzi ist überzeugt, dass Brasiliens Bauwirtschaft nicht nur eine konjunkturelle, sondern auch eine strukturelle Krise erlebt. „Die Brasilianer, selbst aus den unteren Einkommensklassen, haben heute Zugang zu Informationen und fordern nachhaltige Verbesserungen des Preis-Leistungs-Verhältnisses. Für ihre Rechte gehen sie vor Gericht. Möglichst billig kommt einem Bauunternehmer letztlich teuer zu stehen. Denn die Kosten nachträglicher Baumaßnahmen sind sehr hoch“, argumentiert er.
Bei einer Umorientierung der Baugesellschaften ergibt sich laut Robazzi in erster Linie ein Bedarf an moderner Ausrüstung zur Mechanisierung und Automatisierung der Bauausführung. Hier ergeben sich vielfältige Chancen für deutsche Unternehmen. Darüber hinaus stellte Robazzi einen immensen Vorsprung Deutschlands bei Baustoffen fest. Insbesondere im Bereich Fenster- und Fassadentechnik sieht er ein hohes Nachfragepotenzial auch in der kurzen Frist.
Geschäftschancen bestehen zudem im Technologietransfer an lokale Baumaterialhersteller. Die zunehmende Bedeutung von Energieeffizienzaspekten eröffnet Chancen für neue Klimaanlagen und Automatisierungstechnik. Gebäudesicherheit spielt weiter eine bedeutende Rolle.
Auch im Bereich Projektierung und Baumanagement bietet der brasilianische Markt Potenzial für deutsche Dienstleister, wie Miriam Haag bestätigt. Haag begleitete für die Drees & Sommer-Gruppe den Aufbau der Niederlassung in São Paulo. Seit 2013 beriet der deutsche Dienstleister zu Immobilienentscheidungen in Brasilien. Aufgrund einer strategischen Neuausrichtung zog sich Drees & Sommer jedoch im Juni 2018 wieder aus Brasilien zurück.
PROJEKTE
Ausgwählte Großprojekte im brasilianischen Wohnungs- und Wirtschaftsbau
Vorhaben | Investitionssumme | Projektstand | Anmerkungen |
Wiederaufbau von Bento Rodrigues, Ort bei Mariana (MG), zerstört durch Staudammunglück 2015 | 20.000 | Ankündigung im Mai 2018, geplant ist der Bau bis 2023, Investitionssumme im Laufe von 15 Jahren | Verwaltung durch Fundação Renova |
PPP für den Bau von 34.000 Sozialwohnungen in São Paulo, Fertigstellung bis 2024 | 7.000 | Versteigerung der Konzessionen in 12 Blöcken am 27.11.18 | zuständige Behörde: Cohab |
Fertigstellung der Erdgasverarbeitungsanlage UPGN Itaboraí (Rio de Janeiro) | 1.950 | Vertragsunterzeichnung Ende März, Inbetriebnahme geplant für 2.Hj 2020 | Auftrag ging an Shandong Kerui/Método Potencial |
Natos Gruppe erweitert Ferienresort in Olímpia (São Paulo) | 1.000 | Ankündigung im Juni 2018 | Investitionen bis 2020 |
von Gloria Rose, Germany Trade und Invest
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