1951 trat der deutsche Immigrant Eberhard Zeidler in das seit 1880 bestehende Architekturbüro Blackwell & Craig ein, dass seit den frühen 1960er Jahren auch seinen Namen trägt.
Mit Standorten in vier kanadischen Provinzen sowie einem Büro in Peking und in Berlin arbeitet das Büro Zeidler “truly global“.
NAXNAX Netzwerk Architekturexport: Blickt man in Ihrem schon seit Jahrzehnten in Kanada etablierten Büro überhaupt noch auf den deutschen Ursprung des Gründers mit seiner Ausbildung an der Hochschule für Baukunst und bildende Künste in Weimar zurück oder weht nun nur noch ein „kanadischer Wind“ durch Ihr Büro?
Thomas Hübener: Wie Sie richtig feststellen: ein Stück des Rufs des Büros in Kanada hat damit zu tun, dass Eberhard Zeidler direkt nach dem zweiten Weltkrieg am Bauhaus in Weimar studierte und – was die wenigsten wissen – danach bei Egon Eiermann, dem großen deutschen Architekturlehrer im Nachkriegsdeutschland – in Karlsruhe diplomierte. Er emigrierte 1951 nach Kanada. Im kleinen großen Kanada war diese Ausbildung ein Alleinstellungsmerkmal! Der deutsche Einfluss war aber im Büro darüber hinaus immer ein Stück weit präsent. Jetzige Partner des Büros haben in Deutschland an deutschen Projekten seit den frühen 90er Jahren mit mir in Berlin gearbeitet. So u.a. der jetzige Senior Partner und Nachfolger von Eberhard Zeidler, Vaidila Banelis, der von Berlin aus wesentlich an unserem Herzzentrum in Coswig beteiligt war. Oder Jürgen Henze, der als Jugendlicher nach Kanada emigrierte und u.a. mit für den Cinedom in Köln verantwortlich zeichnete. Gleichzeitig gilt aber auch, dass Zeidler kein typisch deutsches Büro in Kanada ist. Dazu sind die kulturellen wirtschaftlichen aber auch personellen Entwicklungen des Büros im Laufe von fast sieben Jahrzehnten seit der Emigration von Eberhard Zeidler zu vielfältig. Dennoch sind stilbildende Projekte des Büros wie das Eaton Centre und Ontario Place ohne den Einfluss der sich im Bauhaus formulierenden Moderne nicht denkbar.
Der Einfluss des Bauhauses ist weniger als eine stilistische Blau – oder in den Augen vieler Weißpause – zu spüren. Wenn man den Geist des Bauhauses als alle Bereiche von Kunst, Handwerk und Wissenschaft umfassende Architekturhaltung versteht und den daraus resultierenden lebendigen Diskurs als Haupterbe auffasst und nicht in erster Linie einen vermeintlichen Stil, so ist diese Haltung sicher auch für Zeidler gültig. Wer aber eine stilistisch durchgehend von Gropius und Mies geprägte Architektur erwartet, wird sicherlich beim Blick auf unsere Webseite enttäuscht.
NAX: Lieber Herr Hübener, berichten Sie uns doch bitte kurz über das Projekt „Deutsches Konsulat in Toronto“, das in Deutschland geplant und in Kanada umgesetzt wurde.
Thomas Hübener: Wir haben uns ganz regulär beim BBR um diesen Auftrag beworben, der das komplette Leistungsbild nach HOAIHOAI Honorarordnung für Architekten und Ingenieure umfasste. Das Projekt selber bestand im kompletten Ausbau einschließlich der Innenausstattung einer durch die Bundesrepublik angemieteten Etage in einem Hochhaus in der Innenstadt von Toronto für das dortige Generalkonsulat.
Auf Grund unseres großen Mutterbüros direkt in Toronto – ich selber habe fast zehn Jahre in Kanada gelebt und gearbeitet und kenne das Umfeld auch gut – waren wir für den Auftraggeber eine gute Wahl, da wir sicherstellen konnten, dass nicht nur der Entwurf den Kriterien des öffentlichen Auftraggebers entsprach, sondern auch die Betreuung der Ausführung nach den im Lande geltenden Vorschriften erfolgte. Dies ist nicht nur bei konsularischen Bauten ein Spannungsfeld. Die Herausforderung lag in der Umsetzung des mit dem Auftraggeber in Deutschland abgestimmten Entwurfs in die kanadischen Genehmigungsvorschriften sowie die Vergabe und Überwachung der Bauleistungen gemäß den kanadischen Vergabepraktiken (CCDC) – unter Beachtung des mehrere Aktenordner umfassenden Vertragswerks zwischen Bauherrn und Vermieter. Da war viel Überzeugungsarbeit gegenüber dem Auftraggeber nötig, um die zahlreichen Widersprüche und nicht zu erfüllende Erwartungshaltungen aufzulösen.
NAX: Können Sie uns etwas über die Baurealität in Kanada berichten? Wie kann sich ein deutscher Architekt auf die interkulturellen Herausforderungen und die wirtschaftlichen und politischen Unterschiede sowie Regularien (Verfahren, Ordnungen und Normen) in Kanada einstellen? Was sind die größten Hürden?
Thomas Hübener: In Kanada herrscht grundsätzlich eine große Offenheit und Neugier gegenüber allen, also auch deutschen Einflüssen. Für das umweltbewusste deutsche Denken und die konsequente rationale Denkweise gepaart mit technischer Gründlichkeit sind die Ohren in Kanada offen. Aber es gilt zu bedenken, dass die wirtschaftliche Umsetzbarkeit immer eine wesentliche Rolle spielt. Auch die LEED Zertifizierung gewinnt im Rahmen der Klimadiskussion eine immer größere Bedeutung.
Ein paar wesentliche Merkmale des Bauens in Kanada – teilweise ähnlich den USA – sind hier aufgelistet:
- Es gibt keine der HOAI entsprechende Honorarordnung, d.h. die Honorare sind frei verhandelbar. Sie liegen wesentlich niedriger als in Deutschland. Aber natürlich sind auch die Verantwortlichkeiten anders geregelt. Es ergeben sich andere Stundenansätze, die für die Erbringung der Leistungen notwendig sind.
- Eine Einzelvergabe mit Massenberechnung etc. (quantity surveying) existiert praktisch nicht. Bauverträge werden über Generalunternehmerverträge geschlossen.
- Im Allgemeinen ist der Architekt Generalplaner, der die Fachingenieure mit Zustimmung des Bauherrn beauftragt
- Der Prozess der Kostenschätzung und -berechnung ist anders geregelt. Im Allgemeinen beauftragt der Architekt Spezialisten für diese Aufgabe
- Das Dreiecksverhältnis Bauherr- Planer- Generalunternehmer wird durch das „CCDC“ geregelt, einem Regularium das im groben der VOB A entspricht, aber mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Verantwortlichkeiten.
- Der Baugenehmigungsprozess unterscheidet sich wesentlich dadurch, dass für die Genehmigungsplanung die Werkpläne mit einem ca. 80%igen Fertigstellungsgrad eingereicht werden
- Große öffentliche Bauaufträge, z.B. Krankenhäuser, werden häufig in einem „Private-Public Partnership“ Prozess vergeben, dem nach Vorqualifizierung ein – bezahlter – Wettbewerb vorangestellt ist, an dem der Architekt zusammen mit einem Generalunternehmer beteiligt ist, mit dem Ziel, den Entwurf an garantierte Baukosten zu koppeln!
- Das Baurecht ist Angelegenheit der Provinzen, ähnlich wie in Deutschland. Kenntnisse dieser Regelwerke sind für die Planung unumgänglich
- Das Planungsrecht in Kanada ist weniger restriktiv als in Deutschland. Für viele Flächen gibt es Bebauungspläne. Ausnahmen und Sonderkonditionen können durch Anpassungen dieser „zoning bylaws“ und entsprechende Verhandlungen erreicht werden, wenn man diese beantragt und die städtischen „commitees of adjustments“ zustimmen. Das ist ein Prozess des Gebens und Nehmens.
- Eine auch in den USA zu findende Besonderheit ist die planerisch völlig andere Behandlung der Abstandsflächen sowie des Bauwichs, den es in Kanada praktisch nicht gibt. In den Vorstadtgebieten findet man benachbarte Giebel mit nach unserem Recht notwendigen Fenstern mit weniger als einem Meter Abstand. Auch Wohnen oder Arbeiten in Basements ohne richtige Belichtung ist erlaubt und stößt nicht auf generelle Ablehnung.
- Generell benötigen mehrgeschossige Häuser immer zwei Fluchtwege. Anleitern als zweiter Rettungsweg geht nicht. Daraus entstehen im Wohnungsbau einseitig orientierte Wohnungen mit Mittelflur-Erschließung. Innenliegende Treppenhäuser sind Standard und widersprechen nicht der Bauordnung.
- Die Architektendichte pro Kopf der Bevölkerung ist in Kanada wesentlich niedriger als in Deutschland. Mittlere Büros sind eher selten. Es dominieren große Firmen – die sich z.B. bei Krankenhausaufträgen gegen die noch mächtigere Konkurrenz amerikanischer Megabüros durchsetzen müssen. Kleine Büros übernehmen kleine Aufträge.
NAX: Gibt es Besonderheiten bei der Zusammenarbeit mit kanadischen Partnern? Was sollte man beachten/wissen, wenn man im kanadischen Markt aktiv werden möchte?
Thomas Hübener: Die Realisierung von Projekten und Entwürfen in Kanada geht nicht ohne kompetente lokale Partner. Das wissen große international arbeitende Büros. So haben wir z.B. zusammen mit Foster in Calgary den Encana Tower „The Bow“ geplant, mit Snøhetta das Student Learning Center der Ryerson Universität an der Yonge Street in Toronto oder jetzt gerade die neue Toronto Eaton Centre Brücke über die Queen Street mit WilkinsonEyre Architects.
Haben deutsche Architekten die Möglichkeit Projekte in Kanada zu planen, ist Zeidler auf Grund der kulturellen und personellen Geschichte und Kompatibilität sicherlich ein guter Ansprechpartner.
In der Verwendung neuer Technologien ist Kanada Deutschland voraus. BIMBIM Building Information Modeling ist seit Jahren Standard, gehört zum Grundcurriculum an den Universitäten und ist Grundvoraussetzung für die Einstellung von Architekten.
Zum Schluss: Kanada ist ein riesiges Land mit einer relativ kleinen Bevölkerung, die zu über 90% in einem 200 km breiten Streifen entlang der Grenze zu den USA lebt. Weniger als 50% der Bevölkerung entstammt noch den englisch- bzw. französischsprachigen Einwanderern, die das Land bis in die 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts geprägt haben. Arbeiten im multikulturellen Kanada ist geprägt von einer offenen und entspannten Atmosphäre. Man arbeitet hart, aber der Stil ist nicht konfrontativ und anklagend. Auch das kann eine bereichernde Erfahrung sein.
NAX: Danke, lieber Herr Hübener, dass Sie sich die Zeit genommen haben unsere Fragen zu beantworten!