NAX AFTERWORK TALK zum Thema “Mit Cradle to Cradle Zukunft gestalten“

17.11.2021 | Online

Als Follow-Up zum NAXNAX Netzwerk Architekturexport-Fortbildungs-Webinar „Cradle to Cradle International“ im September stand das Thema C2C am 17.11.2021 ebenfalls im Fokus des letzten NAX AFTERWORK TALK in diesem Jahr.

Unser Gast war erneut Lena Junker, Bauexpertin Kommunale Entwicklung der Cradle 2 Cradle NGO. Sie stellte in ihrem Impulsvortrag das Konzept C2C vor und bezog sich dabei mehrheitlich auf den Bausektor, für den Sie eine Handreichung erarbeitet und Anfang November vorgestellt hat(→ C2C im Bau: Orientierung für Kommunen).

„Dass wir nicht um Recycling herumkommen, ist nicht neu und in der aktuellen Klima- und Nachhaltigkeitsdebatte als Notwendigkeit erkannt. Doch beim Bau von Gebäuden wird oft noch gearbeitet, als gäbe es kein Morgen“, so Junker. Die Cradle to Cradle-Bewegung als Teil der Circular Economy will dies ändern und Gebäude als Materiallager der Zukunft etablieren – mit inzwischen beachtlichen baulichen Ergebnissen. Dabei wurde das Cradle to Cradle-Prinzip (C2C) bereits in den 1990er-Jahren vom deutschen Chemiker Michael Braungart sowie dem US-Architekten William McDonough entwickelt. Übersetzt heißt es von der Wiege zur Wiege und bezeichnet einen idealisierten, geschlossenen Rohstoffkreislauf nach dem Vorbild der Natur, bei dem alle Rohstoffe eines Produkts nach dem Nutzungszeitraum zu 100% im Kreislauf bleiben und wiederverwendet werden können. Somit würde es Müll, wie er durch das bisherige „Take – make – waste“ -Modell entsteht, nicht mehr geben, sondern nur noch nutzbare Wertstoffe.

Das Cradle to Cradle-Prinzip lässt sich für jedes Produkt anwenden. Aber vor allem im Bauwesen ist die Wiederverwendung von Rohstoffen besonders wichtig. Warum? Weil bis zu 50 Prozent des weltweiten Rohstoffverbrauchs auf das Bauwesen zurückgehen. Ziel müsse es daher sein, C2C in der Immobilien- und Baubranche voranzutreiben, um Rohstoffe zu sparen, Bauabfälle zu vermeiden und „kreislauffähige, gesunde und werthaltige Gebäude” für alle künftigen Generationen zu bauen, die Innovation, Qualität und gutes Design verbinden.

Folge man dem Prinzip, so gehe es um Grundsätzliches: C2C will den Nachhaltigkeitsgedanken, der im Baubereich heute noch auf die Minimierung des ökologischen Fußabdrucks bzw. auf die Senkung des CO2-Ausstoßes ausgerichtet ist, in positiver Umdeutung neu denken: Ein Gebäude soll so konzipiert werden, dass es nicht nur weniger Schaden verursacht, sondern für Mensch und Umwelt Mehrwerte erzeugt. Jenseits der Baustoffe handelt es sich dabei im weiteren Sinn um drei „Designprinzipien“: Abfall als Nährstoff (Ressourcenschutz und kontinuierliche Stoffkreisläufe), Nutzung regenerativer Energien und Förderung von kultureller und biologischer Diversität. Diese Prinzipien erlauben einen denkbar breiten Ansatz für bauliche Nachhaltigkeitslösungen.

Dabei wird in zwei verschiedenen Kreisläufen unterschieden:

  1. Biologischer Kreislauf: Für Verbrauchsgüter, die einer Abnutzung ausgesetzt sind und daher kompostierfähig sein sollten.
  2. Technischer Kreislauf: Für Materialien wie z.B. Metalle oder Kunststoffe, deren Verfügbarkeit begrenzt ist und die deshalb immer wieder als Sekundärrohstoffe eingesetzt werden sollten

Wie heißt es so aktuell?: Heute schon an morgen denken! Man sollte meinen, dass dies von Unternehmen in einer Zeit mit steigendem Umweltbewusstsein und zunehmender Umweltverantwortung bereits umgesetzt würde. Tatsächlich sehen sich Unternehmen bislang aber häufig „nur“ für die Ressourcenbeschaffung, Herstellung und den Verkauf zuständig. Was mit einem Produkt danach passiert – also die Entsorgung, das Recycling oder auch mögliche, schädliche Einflüsse auf die Umwelt – fällt in den Verantwortungsbereich anderer. Und hier greift das Cradle to Cradle-Prinzip: Bereits vor der Herstellung eines Produktes an dessen Ende bzw. an die Kreislaufnutzung denken.

  • Wie können Produkte nach ihrem Gebrauch in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt werden?
  • Wie ist ein Re- oder Upcycling ohne schädliche Rückstände möglich?

Beim Cradle to Cradle geht es darum, Antworten auf genau diese Fragen zu finden. Daher ist die Idee des C2C auch mehr eine Philosophie, ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess, und die Einladung zu mehr Innovation und Verantwortung, als ein feststehendes Konzept.

Bei der Umsetzung von C2C im Bauwesen müssen zahlreiche Faktoren beachtet werden, denn die Entsorgung von Bauabfällen muss sich für das C2C-Prinzip an den beiden Kreisläufen (biologisch und technisch) orientieren. So ist Holz zum Beispiel in den biologischen Kreislauf; Metalle, Glas und Stahl hingegen sind dem technischen Kreislauf zurückzuführen. Genau hier treten in der praktischen Umsetzung jedoch Hürden auf: Beschichtungen, Zusatzstoffe und Klebeverbindungen, die beim Bau von Bestandsgebäuden verarbeitet wurden, machen es unmöglich, die einzelnen Rohstoffe voneinander zu trennen. (Beispiel: Eine Betonwand, auf die beispielsweise Gipsputz aufgetragen wurde, kann nicht in neuen Beton eingearbeitet werden – der enthaltende Gips würde aufquellen und treiben.)

Cradle to Cradle im Bauwesen müsse idealerweise deshalb bereits in der Planung ansetzen.

Das C2C-Prinzip klingt aufwendig? Ja, ist es auch – vor allem, weil der Mensch zum „Altbewährten“ neigt und alte Denkmuster durchbrochen werden müssen. Steigende Rohstoffknappheit und damit einhergehend auch steigende Rohstoffpreise zwingen jedoch zum Umdenken. Neben der Umweltschonung profitieren durch Cradle to Cradle im Bauwesen außerdem alle Beteiligten:

  • Investoren und Bauherren: U.a. könnten Baukosten gesenkt werden.
  • Hersteller: z.B., indem sie Baustoffe verleasen.Dadurch könnten Rohstoffe für die Zukunft gesichert werden.
  • Bewohner/Nutzer: C2C-Gebäude haben hohe Qualitätsanforderungen. Damit entstehen hochwertige und gesundheitlich unbedenkliche Gebäude, die z.B. durch Durchlüftungssystemen, eingebaute Gewächshäuser oder Fassadenbegrünung die Luftqualität verbesserten.

In der anschließenden Diskussion mit den Teilnehmenden am NAX AFTERWORK TALK – die zum Teil bereits tolle, qualitativ hochwertige Projekte nach dem C2C-Prinzip realisiert haben – wird schnell klar: Nachhaltigkeit wird immer stärker gefordert, C2C ist auch bekannt – wird jedoch noch nicht ausreichend ernst genommen. Dabei wird besonders die C2C-Zertifizierung als schwierig wahrgenommen. Lena Junker stellte noch einmal klar, dass diese aktuell ausschließlich für Produkte gelte und sehr komplex sei – nicht für Gebäude selbst. Die C2C NGO sei hier eng mit der DGNBDGNB Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen e.V., z.T. auch mit Leeds und anderen im Kontakt.

Architekturschaffende könnten und sollten die Chance, die C2C als ganzheitlicher Positivismusansatz biete, nutzen. Aktiv mit diesem Thema auf einen Bauherrn zuzugehen, und sich beim Projekt von C2C-Experten unterstützen lassen, könne dazu führen, Vorreiter zu sein und Bildungsarbeit zu leisten. Hauptsächlich liegt der Fokus hier noch auf Deutschland, aber auch die Internationalisierung in Sachen C2C schreite voran und könne durch Planende und C2C-konforme Produkthersteller aus Deutschland vorangetrieben werden.


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