NAXNAX Netzwerk Architekturexport-Pate Auer Weber ist seit vielen Jahren sehr erfolgreich auf dem französischen Markt tätig und hat dort unter anderem Projekte wie die Veranstaltungshalle Arena du Pays d’Aix in Aix-en-Provence, das olympische Wassersportstadium bei Paris und das Learning Center in Villeneuve d’Ascq realisiert.
Prof. Stefan Niese, Assoziierter bei Auer Weber, berichtet uns im Interview unter anderem über die Planungs- und Baurealität in Frankreich und inwiefern die aktuellen globalen Herausforderungen Ihre Auslandsprojekte beeinflussen.
NAX: Auer Weber ist seit vielen Jahren in Frankreich erfolgreich tätig – Was sind die bedeutendsten Veränderungen auf dem französischen Markt, die Sie in den letzten 10 Jahren festgestellt haben?
Stefan Niese: Wir arbeiten seit 2008 in Frankreich und können durchaus auf eine stolze Bilanz von zahlreichen Wettbewerben und zehn realisierten Projekten unterschiedlichster Bauaufgaben zurückblicken. Interessant dabei ist, dass wir alle Projekte von unserem Münchner Standort aus bearbeitet haben. Dies war und ist nur mit starken Partnern, Architekten und Ingenieurinnen vor Ort möglich. Wenn Sie nach den „bedeutenden Veränderungen“ fragen, dann könnte man von unserer Seite aus vorsichtig bilanzieren, dass sich der französische Markt für öffentliche Bauaufträge gegenüber ausländischen Planenden derzeit zurückhaltender positioniert. Ein französisches Zweigbüro, vor allem eines in der Kapitale Paris, wäre derzeit wohl vorteilhaft. Im Allgemeinen kommt noch hinzu, dass die Auslobungen von Projekten in den letzten zwei bis drei Jahren aus bekannten Gründen sehr zurückgegangen sind.
NAX: Welche Projekte realisieren Sie zurzeit und wie kommen Sie in Frankreich an Aufträge?
Stefan Niese: Wir bewerben uns nach wie vor hauptsächlich für Bauaufgaben der öffentlichen Hand, da diese meist mit einem einigermaßen ausreichenden Kostenrahmen und daher mit einer gewissen Ambition von Seiten der Bauherren umgesetzt werden können. Private Bauaufgaben stehen unter einem höheren Kostendruck.
Dennoch realisieren wir derzeit ein PPP-Projekt in Bordeaux mit einem privaten Projektentwickler für das Headquarter der französischen Rentenkasse. Dieses Projekt ist derzeit in der Fertigstellung.
NAX: Welche sind aus Ihrer Sicht die wesentlichen Chancen und Herausforderungen auf dem französischen Markt und weshalb wählt ein französischer Bauherr einen deutschen Architekten oder eine deutsche Architektin?
Stefan Niese: Den deutschen Architektinnen und Architekten eilt in Frankreich der Ruf des „Ingenieurs“, also der Fähigkeit, neben dem Entwurf auch die Technik des Bauens und Konstruierens gleichermaßen zu beherrschen, voraus. Umso schmerzlicher ist in unserer Architekturausbildung der Verlust des Titels „Diplomingenieur“ zugunsten des Bachelor- und Master-Abschlusses. Weiterhin werden wir als Planungspartner wahrgenommen, die das Knowhow des nachhaltigen Bauens mitbringen. Für uns steht ja erst einmal die Einbindung in den Ort, die innere Funktion sowie die nachhaltige Einbeziehung bestehender Bausubstanz im Vordergrund. Diese Herangehensweise haben wir anhand des Projektes „Learningcenter“ in Lille zur großen Zufriedenheit des Nutzers aufgezeigt. Dies sind Eigenschaften, die aus unserer heimischen Planungskultur stammen und die wir weiterhin als Chance begreifen sollten. Die größte Herausforderung in der Umsetzung besteht allerdings darin, dass die Budgets erheblich geringer sind und dass deren Einhaltung zumindest bei kleineren und mittleren Bauaufgaben oberste Priorität hat. Im Gegensatz dazu sind die Wettbewerbsauslobungen sehr ambitioniert und teilweise unrealistisch. Der gesamte Planungs- und Realisierungsprozess ist letztendlich durch Kompromisse geprägt. Diese führen zu einer frühzeitigen, selbst auferlegten Reduzierung der Gestaltungsmittel, um zumindest ein anständiges Qualitätslevel sowohl in der Außen-, als auch in der Innenerscheinung unserer Gebäude zu wahren. Dahingehend konnten wir von unseren französischen Kolleginnen und Kollegen einiges lernen.
NAX: Können Sie uns etwas über die Baurealität in Frankreich sagen? Wie unterscheiden sich die Zusammenarbeit von Architektin, Bauherr und Behörde im Vergleich zu Deutschland, wie die Planungs- und Prozessabläufe?
Stefan Niese: Erst einmal ist es wichtig zu verstehen, dass französische Wettbewerbsjurys in der Mehrzahl aus Politikern bestehen. Architektinnen beraten nach der Vorprüfung lediglich das Entscheidungsgremium. Daher spielen entsprechend überzeugende, fotorealistische Visualisierungen und sogar Filme eine wichtige Rolle. Diese versprechen dann meist mehr, als das Budget zulässt. Dies ist ein Dilemma, da zur Abgabe des Wettbewerbes bereits ein Angebot mit einem bindenden Preis abgegeben werden muss. Weiterhin besteht ja wie bereits erwähnt der Unterschied in der Planungskultur darin, dass der deutsche Architekt die Fachingenieurin eher als Partnerin in einem gemeinschaftlichen Planungsprozess begreift. Dies liegt wohl in unserer technischeren, interdisziplinären Ausbildung begründet. In Frankreich sind die Gräben zwischen den Disziplinen leider tiefer. Weiterhin wird aufgrund der sehr kurzen Planungszeiten lediglich eine Ausführungsplanung „light“ mit Regeldetails (PRO) verlangt. Diese dient dann als Ausschreibungsgrundlage und kann durch die später beauftragte Firma in Teilen im Sinne der Kostenersparnis modifiziert werden. Dieses Procedere ist von den Auftraggebern durchaus so gewollt und entspricht auch der vorherrschenden Kultur starker französischer Baufirmen, die oft als Generalunternehmen auftreten und alle Gewerke abdecken. Dieser Umstand macht es in der Umsetzung einerseits leichter, da sich die Ansprechpartner reduzieren, andererseits muss der Architekt einen harten Kampf um sein architektonisches Konzept führen. Manchmal hat man Glück und die Ambition der Firma ist größer als die des Planers. Sehr positiv ist, dass die Bauherren für experimentelle Konzepte offen sind. So haben wir gerade dort sehr unkonventionelle Projekte realisiert.
NAX: Welche Auswirkungen haben die aktuellen internationalen wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen, wie Pandemie, Kriege, Lieferengpässe auf die Umsetzung von Projekten in Frankreich?
Stefan Niese: In Frankreich gibt es natürlich, wie in Deutschland auch, politische Abhängigkeiten die ein bereits gewonnenes Projekt gefährden können. So warten wir bei unserem größten Projekt, dem olympischen Schwimmbad in Lille, seit einigen Jahren auf eine endgültige Entscheidung, wie es mit dem Projekt weitergeht. Ein Bürgerbegehren das sich grundsätzlich gegen den Städtebau und nicht gegen unser Projekt wendete, die anschließenden Kommunalwahlen, dann die Pandemie und jetzt der Krieg mit der Verknappung der Ressourcen sowie die auch in Frankreich zu verzeichnenden enormen Preissteigerungen stimmen uns nicht sehr hoffnungsfroh.
Im Moment bewerben wir uns aktiv weiter um Projekte, um unsere Kompetenz auch in Zusammenarbeit mit den uns lieb gewonnenen Partnern in Frankreich weiter zu tragen. Sollten sich künftige Bauherrinnen wieder für einen unserer Wettbewerbsbeiträge entscheiden, dann werden wir diese sowie das Planungsteam hoffentlich dafür gewinnen, einen Teil der gemeinsamen Arbeit digital, mittels Videokonferenzen abzuwickeln. Im Vergleich zu den letzten zehn Jahren wäre das dann ein zusätzlicher wichtiger Beitrag zur Nachhaltigkeit, der bereits im Planungsprozess beginnt.
NAX: Vielen Dank, Herr Niese, für diese interessanten Einblicke und alles Gute für die weitere Arbeit in Frankreich!