2016 war die niederländische Regierung eine der ersten in Europa, die mit „A Circular Economy in the Netherlands by 2050“ den EUEU Europäische Union European Circular Economy Action Plan (CEAP) von 2015 auf nationaler Ebene umgesetzt hat. 2018 wurden dann konkret fünf energie- und rohstoffintensive Bereiche und Wertschöpfungsketten mit großem Einfluss auf Wirtschaft und Umwelt ins Auge gefasst. So auch die gesamte Bauindustrie, die bis 2050 zu 100% zirkulär sein soll.
Torsten Schröder ist Assistant Professor of Sustainability in Architectural Design an der Eindhoven University of Technology (TU/e) , Koordinator des Domain Acceleration Team (DATDAT Deutscher Architekt*innentag) Circularity and Sustainability bei 4TU.Built Environment (Zusammenschluss der vier Technischen Universitäten in den Niederlanden im Bereich Gebaute Umwelt), und Beiratsmitglied im Bundespreis Ecodesign, der höchsten staatlichen Auszeichnung für ökologisches Design in Deutschland.
Im NAXNAX Netzwerk Architekturexport-Interview erklärt er, mit welchen Maßnahmen die niederländische Regierung ihre Nachhaltigkeitszeile erreichen möchte und zeigt uns seine Vision einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft in der Architektur und im Gebäudesektor.
NAX: Was wird getan, um die die Bauindustrie bis 2050 zu 100 % zirkulär zu machen? Was macht die Niederlande zu einem der globalen Vorreiter bei dieser Transition?
Schröder: Die Niederlande sind ein relativ kleines europäisches Land mit einer der höchsten Bevölkerungsdichten in Europa und einer starken Wirtschaft. Das Land steht vor dem Dilemma, dass es in den nächsten 10 Jahren einen prognostizierten Bedarf gibt, 1 Million neue Wohnungen zu bauen, 7,8 Millionen bestehende Wohnungen zu renovieren und gleichzeitig die CO2-Emissionen drastisch zu reduzieren.
Ähnlich wie in anderen europäischen Ländern spielt der Gebäudesektor eine entscheidende Rolle im Streben nach Nachhaltigkeit. In den Niederlanden entfallen im Vergleich zu allen Sektoren 50 % des Rohstoffverbrauchs, 40 % des Energieverbrauchs, 35 % der CO2 Emissionen, 30 % des Wasserverbrauchs und 40 % der Bau- und Abbruchabfälle auf das Baugewerbe.
Der Übergang zu einem kreislauforientierten Bausektor ist ein vielversprechender Weg, um die negativen Umweltauswirkungen zu reduzieren und neue Betätigungsfelder und Rollen für Architekten zu schaffen. Doch der Übergang erfordert einen Paradigmenwechsel, das heißt radikale Veränderungen in der Art und Weise, wie wir Gebäude konzipieren, entwerfen, konstruieren, nutzen, transformieren und demontieren. Im internationalen Vergleich gehören die Niederlande zu den Pionieren in dem Übergang zur Kreislaufwirtschaft.
2018 führte die niederländischere Regierung die ‘Transition Agenda Circular Construction Economy’ ein. Die Agenda positioniert die Niederlande als Vorreiter einer ehrgeizigen Mission: die Bauwirtschaft bis 2050 zu 100 % kreislauffähig zu machen. Sie erarbeitet die Strategie und gibt konkrete Empfehlungen für den ehrgeizigen Plan, bis 2050 eine Kreislaufwirtschaft im Bauwesen zu erreichen. Einer ihrer entscheidenden Beiträge besteht darin, den Fahrplan für die Kreislaufwirtschaft in drei Schritten festzulegen:
2021 Circular Building Economy ‘Base Camp’
2030 Circular Building Economy 50%
2050 Circular Building Economy 100%
Das Transition Team konzipierte die erste Phase 2018-2021 zur Entwicklung eines „Basislagers“. Das Basislager ist eine Metapher, da der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft mit dem Besteigen eines sehr hohen Berges verglichen wird, der noch nie zuvor bestiegen wurde. Ausgehend vom Basislager besteht das Ziel darin, herauszufinden, welche guten und machbaren Wege es gibt, diesen Berg zu erklimmen. Auch wird die Metapher des Basislagers verwendet, um anzuzeigen, dass wir zuerst die Bedingungen für den Übergang schaffen müssen, bevor wir die notwendigen Innovationen ausbauen können.
Für die erste Phase enthält eine breite Palette spezifischer Maßnahmen, um sich auf diese Reise zu begeben. Die Agenda formulierte vier Schwerpunkte für 2018-2023: Marktentwicklung, Messmethoden, Gesetzgebung und Vorschriften, und grundlegendes Wissen, Richtlinien und Bewusstsein.
Der Übergang zu einemkreislauforientierten Bausektor erfordert einen Paradigmenwechsel, das heißt radikale Veränderungen in der Art und Weise, wie wir Gebäude konzipieren, entwerfen, konstruieren, nutzen, transformieren und demontieren.
Torsten Schröder
NAX: Wie wirkt sich die niederländische ‚Transition Agenda Circular Construction Economy‘ konkret auf den Architekturbereich, den Gebäudesektor, die Bauwirtschaft aus? Was bedeutet das im Einzelnen für ein Architekturbüro?
Schröder: Die ‚Transition Agenda Circular Construction Economy‘ war eine Schlüsselinitiative, die den Kontext, Fahrplan und Nährboden für eine Vielzahl anderer Folge-Initiativen und -Maßnahmen in der Mission des Übergangs zu einem kreislauforientierten Gebäudesektor bildete.
Mit der Tendenz, dass sich die CO2-Emissionen von Gebäuden in Richtung Null bewegen, rücken das verkörperten (embodied) CO2 und die Umweltauswirkungen von Baustoffen zunehmend in den Mittelpunkt. Im Jahr 2018 waren die Niederlande Vorreiter neuen Bauvorschriften. Die Regierung führte die ‚MilieuPrestatie Gebouwen‘ (MPG) (Umweltleistung von Gebäuden) als obligatorische Bewertung ein, die bei einem Antrag einer Baugenehmigung erforderlich ist. Die MPG berücksichtigt die Umweltauswirkungen von Materialien, die in Neubauten mit einer Größe von mehr als 100 m2 verwendet werden.
Die MPG ist eine wichtige Bewertungsmethode, um die Umweltauswirkungen von Baustoffen im Bauprozess zu berücksichtigen und dafür Verantwortung zu übernehmen. Für neue Gebäude muss ein MPG-Score berechnet werden. Je niedriger dieser ist, desto geringer ist der Umwelteinfluss des Materialeinsatzes. Die MPG wurde mit dem Ziel entwickelt, ein klares, unabhängiges, verständliches und zuverlässiges Werkzeug im Entwurfsprozess zu schaffen.
Im Mittelpunkt der MPG-Bewertung steht die Niederländische Umweltdatenbank (NMD), die Umweltdaten von Bauprodukten und -anlagen enthält. Die Umweltdaten der NMD enthalten erfassen die Umweltauswirkungen eines Materials. Derzeit werden 11 Umweltauswirkungskategorien berücksichtigt: Abbau abiotischer Rohstoffe (ausg. fossile Energieträger), Abbau fossiler Energieträger, Erderwärmung, Abbau der Ozonschicht, photochemische Oxidationsmittelbildung (Smog), Versauerung, Eutrophierung, menschliches Toxizitätspotenzial, ökotoxikologische Wirkungen, aquatische Wirkungen (Süßwasser), ökotoxikologische Wirkungen, aquatische Wirkungen (Meer) und (Stichting NMD, 2022)ökotoxikologische Wirkungen (terrestrisch) . Diese 11 Indikatoren werden zu einem Wert zusammengefasst: den environmental shadow cost (Umwelt-Schattenkosten), der alle in einem Gebäude verwendeten Materialien darstellt.
Um die MPG für ein in Entwicklung befindliches Gebäude zu berechnen, müssen die Materialien und ihre Mengen in einem Entwurf identifiziert werden. Auch wenn man bei vielen Materialien und Bauprodukten mit Standardprodukten in den Softwarepaketen arbeiten kann, dauert die korrekte Berechnung der MPG relativ lange. Programme, mit denen man die MPG berechnen können, stellt die niederländischen Umweltdatenbank bereit. Gebäudeteile, die den größten Beitrag zum MPG leisten, sind Fassaden, Böden und Installationen. Insgesamt sind dies oft 60% bis 80% der MPG. Dies kann jedoch je nach Geometrie und Installationskonzept stark variieren. 2018 wurde die MPG auf einen Höchstgrenzwert von 1,0 festgelegt. Ziel ist es, die Anforderung schrittweise zu verschärfen und bis spätestens 2030 zu halbieren. Bauträger und Bauunternehmer auf dem Wohnungsmarkt haben bereits Richtlinien für die Einhaltung der neuen Standards entwickelt.
Seit der Einführung des obligatorischen MPG-Scores im Jahr 2018 sind Baupraktiker wie Architekten, Ingenieure und Entwickler gezwungen, eine andere Denkweise anzunehmen und die Auswirkungen von Baumaterialien zu berücksichtigen. Diese Verschiebung fördert die Nutzung biologischer Baustoffe und das Interesse an wiederverwendeten Bauteilen.
Die ‚Transition Agenda Circular Construction Economy‘ war eine Schlüsselinitiative, die den Kontext, Fahrplan und Nährboden für eine Vielzahl anderer Folge-Initiativen und -Maßnahmen in der Mission des Übergangs zu einem kreislauforientierten Gebäudesektor bildete.
Torsten Schröder
NAX: Wie lehrt und lebt man Nachhaltigkeit und Zirkularität – von der Uni, über die Politik bis hin zum Alltag?
Schröder: Hochschulen und Universitäten müssen ihre Rolle und Komplizenschaft bei der Schaffung vergangener und aktueller Probleme kritisch hinterfragen, aktiv versuchen, strukturelle Barrieren in der internen Kultur zu überwinden, und ihre kreativen und transformativen Kräfte umzulenken. Übergänge erfordern grundlegende Veränderungen nicht nur in den Technologien, sondern auch in den Praktiken und Institutionen, die unser Verhalten leiten. Angesichts unserer besonderen Position, gesellschaftliche Reflexion, Forschung, Lernen und Führung zu befähigen, haben Hochschulen und Universitäten die einzigartige Gelegenheit, unsere gesellschaftlichen Werte und die Narrative, die den Wandel vorantreiben, mitzugestalten.
Unsere Studenten haben äußerst großes Interesse an den Themen Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft in der Architektur und Gesellschaft. Studenten wollen den notwendigen gesellschaftlichen Wandel mitgestalten. Die berufliche Zukunft ist maßgeblich davon geprägt, ob man das Wissen und den Fähigkeiten hat, die anstehenden Transformation mitgestalten und umsetzen kann.
Weiterbildung und ‚Lifelong Learning‘ ist aber auch für Architekten, Ingenieure und alle Baubeteiligten von zukunftsweisender Bedeutung, da sich die Transformation hin zu Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft neue Konzepte, Rahmenwerke, Vokabular und Werkzeuge nötig macht. Hier müssen auch Hochschulen und Universitäten ihr Curriculum grundsätzlich hinterfragen, neue Prioritäten setzen und umbauen.
Hochschulen und Universitäten müssen ihre Rolle und Komplizenschaft bei der Schaffung vergangener und aktueller Probleme kritisch hinterfragen, aktiv versuchen, strukturelle Barrieren in der internen Kultur zu überwinden, und ihre kreativen und transformativen Kräfte umzulenken.
Torsten Schröder
NAX: Welche Informationsquellen gibt es in den Niederlanden, um den Übergang zu zirkulärem Bauen voranzutreiben?
Schröder: In den Niederlanden sind verschiedene Wissens- und Innovationsprogramme lanciert worden, um den Übergang zu einem kreislauforientierten Gebäudesektor zu beschleunigen. Diese Programme lieferten Leitlinien für die Umsetzung der Kreislaufwirtschaft in der Baupraxis und identifizierten wichtige Forschungsthemen für die kommenden Jahre. Ich stelle kurz drei ausgewählte Initiativen vor.
Die erste Initiative ist das Wissens- und Innovationsprogramm Circulair Ontwerpen voor Gebouwen en Infrastructuur (Zirkuläres Design für Gebäude und Infrastrukturen), das 2021 vom Bouw en Techniek Innovatiecentrum BTIC (Gebäude- und Technologieinnovationszentrum) und Vertretern verschiedener Universitäten, Fachhochschulen und der Bauindustrie entwickelte wurde.
Das Programm hebt die zentrale Rolle hervor, die Design (Entwerfen) im Übergang zu einem zirkulären Bausektor spielt. Es identifiziert die wichtigsten Herausforderungen der Transformation, und entwirft Konzepte, die es ermöglichen zirkuläre Gebäude zu schaffen. Im Programm wird Design sowohl als ‚Produkt‘ (Artefakt) und auch als ‚Prozess‘ (integrale Prozess, in dem verschiedene Interessengruppen gemeinsam auf die gemeinsame Mission hinarbeiten) verstanden. Im Rahmen des Programms wurden fünf Forschungs- und Innovationsschwerpunkte ermittelt und festgelegt: (1.) Design (Produkt), (2.) Design (Prozess), (3.) Messung (Bewertung), (4.) Materialien (Ketten) und (5.) Kontext (‚Enabler‘).
Darüber hinaus definierte das Programm auf der Grundlage des 10R-Modells fünf zentrale zirkuläre Entwurfsprinzipien, die (potenziell) kombiniert werden könnten:
Design with Reuse
Design with Biodegradables
Design for Reuse
Design for Repair
Design for Refuse
Das Wissens- und Innovationsprogramm Circular Design for Buildings and Infrastructures ist seitdem ein wichtiges Referenzdokument für Forschung und Baupraxis.
Eine zweite wichtige Informationsquelle ist Plattform CB’23, eine online Plattform um zirkuläres Bauen voranzubringen. Im Vergleich zum BTIC richtet sich die Plattform CB’23 gezielter an Baufachleute und hat verschiedene Leitlinien entwickelt, die zum kostenlosen Download zur Verfügung stehen, z. B. die Leitlinien ‘Circular Design‘, ‚Measuring circularity in the construction sector‘, ‚Future of re-use‘, und das Lexikon ‚Circular Construction‘. Die Dokumente und Leitlinien der Plattform CB’23 leisten einen wichtigen Beitrag zur Förderung der Kreislaufwirtschaft in der gebauten Umwelt, da sie das Vokabular, die Ansätze und die Werkzeuge schärfen.
Eine weitere Informationsquelle ist Cirkelstad, eine kooperative Organisation, die in beteiligten Städten Vorreiter im zirkulären und integrativen Bausektor zusammenbringt. Cirkelstad hat eine breite Palette von Veranstaltungen und Berichten initiiert, um die Kreislaufwirtschaft in der gebauten Umwelt voranzutreiben. Eines ihrer Vorzeigeprojekte ist die Entwicklung von Het Nieuwe Normaal (HNN – The New Normal), um einen neuen ehrgeizigen und erreichbaren Standard / Zertifizierung für zirkuläres Bauen zu schaffen. HNN hilft, den zirkulären Ehrgeiz von Organisationen und Projekten auf verschiedene Weise zu konkretisieren. Es kann als Grundlage dienen, um eine Vision zu Projektbeginn zu entwickeln oder Werkzeuge zur Verfügung zu stellen, um als Projektleiter die Kreislauffähigkeit in Projekten sicherzustellen. Zur Bewertung eines in Planung befindlichen Gebäudes werden folgende 9 Indikatoren berücksichtigt: Umweltleistung Gebäude (MPG), materialgebundene CO2-Emissionen, materialgebundene CO2-Speicherung, Herkunft der Materialien, Gesunde Materialien, Abfall, Anpassungsfähigkeit, Lösbarkeit, und Wiederverwendungspotenzial. Entscheidend ist, dass The New Normal zu einer Schlüsselreferenz für Kommunen, Architekten, Ingenieure und Entwickler geworden ist, um Prinzipien der Kreislaufwirtschaft in die Baupraxis durch eine klare Methode zu übersetzen.
In den Niederlanden sind verschiedene Wissens- und Innovationsprogramme lanciert worden, um den Übergang zu einem kreislauforientierten Gebäudesektor zu beschleunigen.
Torsten Schröder
NAX: Welche Projekte und Gebäude stehen in besonderem Maße für diesen Aufbruch? Welche Inspirationsquellen und Vorreiterprojekte gibt es?
Schröder: Spätestens in den 80iger Jahren haben die Niederlande eine wichtige Rolle im internationalen Architekturdiskurs und in der Architekturpraxis eingenommen, da sie wegweisend zu konzeptionellen Fragen, der Frage nach der Rolle von Architekten in der Gesellschaft und zu zahlreichen innovativen Projekten beigetragen haben, z.B. durch Rem Koolhaas/Office for Metropolitan Architecture, MVRDV, UN Studio, und Neutelings Riedijk.
In den letzten Jahrzehnten sind Diskussionen über „Nachhaltigkeit“ und „Kreislaufwirtschaft“ im Bauen zum Mainstream geworden. Sie haben zu einer großen Verwirrung und Unschärfe geführt, bei der häufig der einfachen rhetorischen Gebrauch den Mangel an echten Veränderungen und Engagement verdeckt. Daher ist es entscheidend Projekte kritisch zu hinterfragen, um zu verstehen welchen Beitrag sie tatsächlich leisten den großen Umweltkrisen entgegenzuwirken.
In Niederlande gibt es viele wegeweisenden Beispiele. Im Rahmen der Kreislaufwirtschaft ist in Europa die Wiederverwendung / Reuse von gebrauchten Bauteilen in der Architektur ein wichtiges Thema geworden. Bereits seit mehr als 25 Jahren arbeitet das Rotterdamer Architekturbüro ‚Superuse Studios‘ an diesem Thema und ist einer der Pioniere in diesem Bereich. In zahlreichen Projekten hat Superuse Studios vorgezeigt, wie gebrauchte Bauteile den Entwurf inspirieren können und zu einer neuen Art von Architektur führen können.
Der ‚Circl‘ Pavillon entworfen und gebaut zwischen 2014-2016 von ‚de Architekten Cie.‘in Amsterdam ist das erste gebaute praktische Beispiel für Kreislaufwirtschaft in der Architektur. Circl hat ein breites Spektrum an zirkulären Entwurfsstrategien in einem Gebäude in ambitionierter Weise vereint, z.B ‚Design with Biobased Materials‘, ‚Design with Reuse‘, und ‚Design for Disassembly‘.
Der ‘People’s Pavilion‘ in Eindhoven ist ein Design-Statement für die neue Kreislaufwirtschaft, ein zu 100 % zirkuläres Gebäude, bei dem kein Baumaterial beim Bau verloren geht. Das Team von ‚Bureau SLA & Overtreders W‘ hat dies mit einem radikalen neuen Ansatz erreicht: Alle Materialien, die für den Bau des 250 m2 großen temporäreren Gebäudes benötigt wurden, waren geliehen: Beton- und Holzbalken, Beleuchtung, Fassadenelemente, Glasdach, Verkleidung aus recyceltem Kunststoff, sogar das Glasdach des Pavillons, die alle – nach der Dutch Design Week 2017 unversehrt an die Eigentümer zurückgegeben wurden. Dies führte zu einer neuen Designsprache: Der People’s Pavilion zeigt eine neue Zukunft für nachhaltiges Bauen auf: ein kraftvolles Design mit neuen Kooperationen und intelligenten Baumethoden.
Spätestens in den 80iger Jahren haben die Niederlande eine wichtige Rolle im internationalen Architekturdiskurs und in der Architekturpraxis eingenommen.
Torsten Schröder
NAX: Was muss auf dem Weg zum Jahr 2025 noch getan werden, damit das gesetzte Ziel erreicht wird? Was ist Ihre Vision für die Zukunft, in den Niederlanden und anderswo?
Schröder: Trotz aller Aufmerksamkeit die Kreislaufwirtschaft gegenwärtig bekommt stehen wir noch am Anfang. Wir haben die Grundlagen und Prinzipien des zirkulären Bauens erarbeitet und es gibt zahlreiche realisierte wegweisend Beispiele. Trotzdem sind wir weit davon entfernt diese neuen Ansätze im Bausektor weit verbreitet anzuwenden.
In den Niederlanden ist die Verwendung der meisten Rohstoffe im Allgemeinen nicht zurückgegangen. Mit den aktuellen Trends und der gegenwärtigen Gesetzgebung wird, die von der Regierung für 2030 geplante Halbierung des abiotischen Ressourcenverbrauchs nicht erreicht. Derzeit besteht ein Missverhältnis zwischen den ehrgeizigen Zielen der niederländischen Regierung und den umgesetzten Maßnahmen. Die derzeitige Politik konzentriert sich hauptsächlich auf freiwillige und unverbindliche Vereinbarungen. Dies ist wichtig, aber nicht ausreichend, um einen Übergang zu realisieren, der die Ressourcennutzung radikal effizienter und weitverbreiteter macht. Bindende Vorschriften sowie umfangreiche Innovationsfonds sollten auf den zirkulären Übergang ausgerichtet werden, idealerweise in Synergie mit der Klimapolitik.
Einer von vielen Aspekten, die noch mehr Aufmerksamkeit erfordern, ist, dass sich viel auf den zirkulären Neubau konzentriert hat. In Europa spielt der Umbau und die (energetische) Renovierung des Bestandes aber eine wesentlich wichtigere Rolle, da in diesen Bereich mehr Umweltbelastungen anfallen. Wir arbeiten momentan an mehrere Forschungsprojekten, die Prinzipen zirkulärer Renovierung von Gebäuden entwickeln, um diese flächendeckend umzusetzen.
Ich glaube, dass Architekten beim Übergang zu nachhaltigeren und kreislauforientierteren Gesellschaften eine wichtige Rolle zukommt. Wir brauchen mehr Optimismus! Während es viele Weltuntergangsszenarien gibt (Temperaturrekorde, Überschwemmungen, Hurrikane, Verlust der Artenvielfalt, …), fehlt es überraschenderweise an hoffnungsvollen und attraktiven Vorstellungen und Visionen wie zirkulären Zukünften aussehen könnten. Zweifellos werden wir auf bestimmte Dinge verzichten müssen, aber es gibt auch eine Menge, die wir aus dem Übergang gewinnen können. Es gibt viele gute Beispiele, die deutlich einen Unterschied machen. Menschen werden meist nicht durch Fakten überzeugt, sondern durch positive Perspektiven zum Handeln motiviert. Architekten haben durch ihre gesteigerte Vorstellungskraft das Potenzial, Fragen zu stellen, neues Denken anzuregen, Szenarien zu erstellen und potenzielle Zukunftsperspektiven vorzustellen. Die Vorstellungskraft kann ein entscheidender Antrieb sein, um den Status quo zu überwinden und über den Tellerrand hinauszuschauen. Spekulative Szenarien können neue Möglichkeiten eröffnen, Ideen greifbar, diskutierbar machen und helfen, sie von der Zukunft in die Gegenwart zu bringen. Wie können wir neue Denkanstöße geben und radikale Visionen und Szenarien für eine nachhaltige Zukunft entwickeln? Wie wollen wir in Zukunft zusammenleben?
Derzeit konzentriert sich viel auf den zirkulären Neubau. In Europa spielt der Umbau und die (energetische) Renovierung des Bestandes aber eine wesentlich wichtigere Rolle, da in diesen Bereich mehr Umweltbelastungen anfallen.
Torsten Schröder
NAX: Vielen Dank für diese spannenden Einblicke!