Die Niederlande werden immer wieder als Vorreiter genannt, wenn es um nachhaltiges Bauen geht. Wie wirken sich die CO2-Ziele der niederländischen Regierung auf die Arbeit der Architekten aus? Eike Becker (Eike Becker_Architekten) berichtet von seiner Erfahrung im Amsterdamer Projekt Amstelgebouw.
NAXNAX Netzwerk Architekturexport: Lieber Eike Becker, Sie haben in Amsterdam das Projekt Amstelgebouw durchgeführt. Bitte berichten Sie kurz über das Projekt. Gab es besondere Herausforderungen?
Eike Becker: Bereits seit Jahren arbeitet die Stadt Amsterdam an einer Aufwertung des Gebietes um die Amstelstation. Mittlerweile ist der Bahnhofsvorplatz neu errichtet, das Bahnhofsgebäude restauriert und auch die Randbebauung fasst den Platz gut ein. Die städtebauliche Planung sah auf dem Grundstück unseres Auftraggebers ein 140 m Hochhaus vor. Wir wurden von einem Investor aus London mit dem Entwurf beauftragt. Die Zusammenarbeit mit den Vertretern der Stadt Amsterdam führte nach wenigen Monaten, also für deutsche Verhältnisse unvorstellbar schnell, zur Einigung auf ein städtebauliches Konzept für ein gemischtes Quartier mit Wohnungen, Büroflächen, Gewerbeflächen und sozialen Einrichtungen. Die Kooperation war wertschätzend, ja, von Begeisterung für das gemeinsame Projekt getragen.
NAX: In den Niederlanden sollen die CO2-Emissionen bis 2030 halbiert und bis 2050 um 95 Prozent gesenkt werden. Die Regierung plant außerdem, die Wirtschaft bis 2050 vollständig kreislauffähig zu machen. Welche Rolle haben die Themen Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft bei Ihrem Projekt gespielt? Gab es diesbezüglich spezielle Vorgaben, die Sie überrascht oder die Ihre Planung in besonderer Weise beeinflusst haben?
Eike Becker: Die Schwerpunkte der Stadt lagen auf den sozialen Aspekten. Ich habe nicht den Eindruck gehabt, dass in den Niederlanden ein höherer ökologischer Standard eingefordert wird. Auch unser Auftraggeber legte darauf keinen besonderen Wert. Aber die Aufteilung der unterschiedlichen Wohnungsstandards in Niedrig-, Mittel- und Hochpreissegment wurden festgelegt. Auch die Begrenzung der PKW-Stellplätze, die Nutzung des Erdgeschosses und die des öffentlichen Raumes waren von besonderem Interesse.
NAX: Wie erleben Sie allgemein das Arbeiten und den Planungsprozess in den Niederlanden? Wie unterscheidet er sich vom Planen und Bauen in Deutschland? Gibt es Besonderheiten bei der Zusammenarbeit mit niederländischen Partnern und Behörden? Wie ist der Marktzugang für ausländische Büros?
Eike Becker: Die Niederlande sind eine wirtschaftsliberalere Gesellschaft. Deshalb werden dem Investor auch weniger Reglementierungen auferlegt. Bezüglich der Auswahl des Architekturbüros vermeidet die Kommune eine Einflussnahme.
Auch die Rollen sind anders aufgeteilt. Wenn in Deutschland Architekturbüros ein Projekt bis zur Werkplanung weit in den Bauprozess hinein definieren, ist deren Rolle dort auf die erste Phase begrenzt. Ein Bauantrag wird auf der Grundlage von etwa 50 % einer deutschen Vorentwurfsplanung eingereicht. Danach übernimmt der Generalunternehmer und optimiert im Wesentlichen nach seinem Ermessen. Die Trennung von Planen und Bauen ist dort aufgehoben. Infolgedessen sind die Honorare für Planungsleistungen substanziell niedriger und die Effizienz der Arbeitsweise höher. Das detaillierte Wissen deutscher Planungsbüros wird dort nicht abgefragt.
NAX: Was würden Sie deutschen Architekten, die in den Niederlanden planen und bauen wollen raten?
Eike Becker: Wie überall sonst auch, ist es hilfreich, ein einheimisches, ortsansässiges Architekturbüro zu werden. Es ist ratsam, den dortigen Markt gut zu verstehen und die Mentalität, die Bedürfnisse der Beteiligten kennenzulernen und mit Wohlwollen zu umarmen.
NAX: Herzlichen Dank für die interessanten Einblicke!