Interview mit NAXNAX Netzwerk Architekturexport-Pate GRAFT im Themendossier „Internationalisierung in der Kultur- und Kreativwirtschaft“ des Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes, das Teil der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundesregierung ist.
Interviewpartner: Lars Krückeberg und Thomas Willemeit, beide Gründungspartner. Gastprofessuren in den USA, Italien, den Niederlanden und Deutschland.
Thomas und Lars, Ihr habt Graft vor rund 25 Jahren in Kalifornien gegründet. Welche Rolle spielt Internationalisierung in Eurer Unternehmensgeschichte?
GRAFT: Die Internationalisierung ist fundamental für uns. Wir waren wahrscheinlich eine der ersten Generationen, die die Möglichkeit hatten, beruflich international tätig zu sein. Durch den europäischen Einigungsprozess und die Möglichkeiten des Studierendenaustausches und des preiswerten Reisens konnten wir andere Kulturen kennenlernen. Dabei haben wir gelernt, dass in der Begegnung Chancen und Potenziale liegen.
In Los Angeles wurde damals das Potenzial des Computers und des Internets sichtbar, und es entstanden die ersten Programme, die 3D-Simulationen und Designs ermöglichten. Die Erfindung des Internets und die Digitalisierung der Kreativbranche waren also Schlüsselereignisse. Es war ein großer Vorteil für uns, dort zu sein, wo die Zukunft erfunden wird. Das Umfeld in Kalifornien war inspirierend, weil dort auch die Traumfabrik Hollywood und die Unterhaltungsindustrie zu Hause sind. So konnten Ideen einer virtuellen Welt oder eines virtuellen Zwillings entwickelt werden. Für junge Architekten aus Deutschland war es ein idealer Nährboden, um Dinge auszuprobieren und kreativ zu sein. Hinzu kam, dass wir als „German Cowboys“ den Ruf hatten, zuverlässig und pünktlich zu sein. Das kam uns beruflich zugute. Es folgten Büros in Berlin und Peking.
Was ist Euer Ansatz und Euer Vorgehen?
GRAFT: Wir sind immer an gesellschaftlichen Veränderungen interessiert. Denn diese Veränderungen beeinflussen neben der Wirtschaft auch die Räume, in denen wir leben und arbeiten. Neue Bedürfnisse entstehen und die Zukunft wird an diesen Orten neu erfunden. Sie breiten sich aus, Städte entstehen
oder werden umgestaltet, Industriegebiete werden umgewandelt, riesige Flächen werden zu Gewerbe- oder Wohnstandorten… Und das alles findet global immer dort statt, wo Gesellschaften sich auf den Weg machen und etwas Neues wollen. Dies war die Lehre, die wir aus unseren Erfahrungen gezogen haben. Aktuell ziehen wir uns aus China eher zurück und sind dafür an Orten wie Georgien stärker aktiv.
Was das konkrete Vorgehen angeht, verlaufen Dinge in der Praxis oft nicht linear. So begann z. B. der Weg zur Eröffnung des Büros in China mit einem Verlust. Einer unserer früheren Partner wurde von einem großen deutschen Architekturbüro in China entdeckt und sollte deren Büro in Peking leiten. Er verließ GRAFT, um diesem Traum nachzugehen, kehrte jedoch später zurück. Aufgrund persönlicher Beziehungen blieb er mit dem Land eng verbandelt, woraus zwei Jahre später die Idee entstand, dort ein GRAFT-Büro zu eröffnen. In den USA boten sich die Möglichkeiten, ein Architekturbüro zu eröffnen dadurch, dass zwei unserer Gründungspartner in Kalifornien studiert haben.
Eine Unternehmensgeschichte hat bekanntlich immer Höhen und Tiefen. Welchen Herausforderungen seid Ihr auf Eurem Weg begegnet?
GRAFT: Wir haben vieles intuitiv zwar richtig gemacht. Ein Kardinalfehler am Anfang war es dennoch, in China keinen lokalen Partner*innen mit einzubeziehen. Wir konnten uns dort nicht ausreichend vernetzen, da es andere Gepflogenheiten gibt, die ein gewisses Vertrauensverhältnis erfordern. Das würden wir heute anders angehen. Um diese Hürden zu überwinden, kann es sich z. B. lohnen, internationale Nachwuchskräfte in das Unternehmen zu holen und langfristig an das Unternehmen zu binden. In den USA war der Start einfacher. In der Zeit der Wirtschaftskrise lag die Schwierigkeit jedoch darin, dass wir zu spezialisiert waren und mehr hätten diversifizieren müssen, um die Effekte
abzufedern.
Was würdet Ihr anderen Architekt*innen raten, die sich international aufstellen wollen?
GRAFT: Wer nicht schon groß ist, muss in sich selbst investieren. Und das geht immer besser in einer Gruppe mit Gleichgesinnten. Als kleines Büro schnell an drei Standorten auf drei Kontinenten Büros aufzubauen, das geht nur, indem die Kräfte gebündelt werden. Gleichzeitig müssen bis zu einer gewissen Unternehmensgröße viele Entscheidungen eigenverantwortlich getroffen werden. Von der Stadtplanung bis zur Türklinke, ein eigenes Büro zu haben heißt: Anpacken! Wie findet man die richtigen Mitstreitenden? Eine gemeinsame Sehnsucht zu haben ist ein Schlüsselfaktor. Nur so kann man die anfänglichen Entbehrungen und Nachtschichten, die für den Erfolg notwendig sind, ertragen. In den ersten Jahren haben wir gemerkt, dass es ein Geschenk ist, mit einem Team zu arbeiten, das auch in schwierigen Zeiten das Ruder herumreißen kann. Es gibt keine festen Regeln, aber eine Erkenntnis von uns ist: mehr Menschen bedeuten mehr Kräfte und Fähigkeiten sowie eine bessere Aufteilung, um Herausforderungen zu meistern. Bei uns hat das zum Glück bis heute gehalten, weil wir alle gemeinsam gewachsen sind.
Außerdem ist ein wesentlicher Aspekt, im Unternehmen vorhandenes Wissen kontinuierlich weiterzuentwickeln und zu sichern. Wenn die lokalen Kenntnisse, bspw. zum Thema Baurecht, nur von einzelnen Mitarbeitenden für sich gesammelt werden, geht das Wissen mit ihnen, wenn sie das Unternehmen verlassen. Man kann es mit dem Anlegen eines Gartens vergleichen: Um erfolgreich zu sein, müssen die Mitarbeitenden im Unternehmen verwurzelt sein und es braucht einen gut funktionierenden Wissensaustausch.
Das Interview ist erschienen im Themendossier „Internationalisierung in der Kultur- und Kreativwirtschaft“ des Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes, im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz.
Das Dossier „Internationalisierung in der Kultur- und Kreativwirtschaft“ bietet einen fundierten und praxisorientierten Leitfaden zur erfolgreichen Internationalisierung von KKWs, mit einer Mischung aus praxisnahen Fallstudien und theoretischem Wissen zu wichtigen Themen wie Netzwerkaufbau, Sichtbarkeit, Export, Kooperation und Standort.
Das Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes ist Teil der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundesregierung. Mit wissenschaftlichen Analysen und kontinuierlicher Trendforschung informiert es über die Entwicklung der Branche und zeigt ihre Relevanz innerhalb
anderer Wirtschaftsbereiche auf.
In Zusammenarbeit mit dem Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes setzt sich die Bundesarchitektenkammer dafür ein, die politische und öffentliche Wahrnehmung der Architektur als Teil der Kultur- und Kreativwirtschaft zu stärken.