Die Zusammenarbeit mit dänischen Partnern offenbart spannende Unterschiede in der Planungskultur – eine größere Offenheit für Experimente, kombiniert mit pragmatischer Lösungsorientierung. Wir sprachen mit Fritz Hilgenstock von WTM Engineers über seine Projekte und Erfahrungen in Skandinavien.
Das Ingenieurbüro WTM Engineers mit 310 Mitarbeitern am Hauptsitz in Hamburg und den Standorten in Berlin, München, Kiel und Rostock ist seit 1936 auf den Gebieten Tragwerksplanung, Wasserbau, Ingenieurbau und Industriebau tätig, die auch interdisziplinär zusammenarbeiten, im Inland wie im Ausland.

Fritz Hilgenstock fing 1995 direkt im Anschluss an sein Studium bei WTM Engineers – damals noch Windels Timm Morgen – als Tragwerksplaner an und wurde dort bald in die internationalen Projekte eingebunden. Seit der Gründung von WTM Engineers International ist er dort als Prokurist zuständig für die internationalen Projekte des Büros – von Shanghai, über Dubai und Kuwait bis nach New York .
Eine besondere Affinität hat er für Skandinavien, besonders für Dänemark. Das kommt nicht von ungefähr. Seit 2009 beschäftigt ihn besonders intensiv das Projekt der Festen Fehmarnbeltquerung, für das WTM das Planungsteam und den Bauherren in allen Belangen der deutschen Planfeststellung und Genehmigungen in den Bereichen Planfeststelltung, Behörden Management und Prüfung Ausführungsplanung der Baufirmen beraten durfte. Der von der europäischen Union ko-finanzierte Fehmarnbelt-Tunnel ist das wichtigste deutsch-dänische Verkehrsprojekt und zugleich der längste Absenktunnel der Welt.
Eine regelmäßige Präsenz in Kopenhagen ermöglichte neue Kontakte – und weitere, neue Projekte, wie etwa ein sehr großes von WTM realisiertes Zuckersilo und eine architektonisch sehr anspruchsvolle und bewegliche, innerstädtische Fuß- und Radwegebrücke im Zentrum von Kopenhagen.
Der Fehmarnbelt-Tunnel, das wichtigste deutsch-dänische Verkehrsprojekt.Femern AS
NAXNAX Netzwerk Architekturexport: Lieber Fritz Hilgenstock, in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen gibt es viele architektonische und bauliche Highlights. Die 2015 von WTM fertiggestellte Butterfly Bridge zählt sicher dazu. Erzählen Sie uns etwas mehr über dieses bemerkenswerte Bauwerk.
Fritz Hilgenstock: 2009 konnten wir uns zusammen mit Dietmar Feichtinger Architects, Paris in einem von Københavns Kommune ausgelobten internationalen Wettbewerb durchsetzen, der eine bessere Erschließung der östlichen Stadtviertel zum Ziel hatte.
Die Butterfly Bridge über den Christianshavn Kanal und Trangraven ist an einer Kanalkreuzung gelegen. Sie verbindet Wege in drei verschiedene Richtungen und überspannt zwei Hafenbecken. Zwei der drei Brückenarme können durch einen unter der Brücke befindlichen Hydraulikmechanismus geöffnet werden und ermöglichen die Durchfahrt von großen Segelbooten. In der Fortsetzung der Wege vervollständigt eine Brücke über den Proviantmagasingraven in unmittelbarer Nähe der neuen Oper das Ensemble.
Vor allem im Sommer fließt ein ununterbrochener Strom von Fahrrädern über unsere Butterfly Bridge und erschließt den Stadtteil Christianshavn und Holmen mit seiner Oper und dem trendigen Refshaleøen. Es ist sehr schön zu sehen, welch ein immenser Beitrag zur Verkehrswende durch die neu geschaffene Verbindung erreicht wird.
Technisch wie ästhetisch höchst anspruchsvoll – die Butterfly Bridge in Kopenhagen.WTM Engineers GmbH
Besonders spannend war die Montage des Stahlbaues, bei der bis zu 50 t schwere vorgefertigte Brückenelemente mit einem 200-t-Schwimmkran eingehoben werden mussten. Nach Fertigstellung der maschinentechnischen Anlagen waren wir dann sehr beruhigt zu sehen, dass sich die zwei Brückenelemente wie vorgesehen öffnen ließen und sich die Verformungen wie geplant einstellten, so dass einem reibungslosen Betrieb nichts mehr im Wege stand.
Wie bei allen unseren Auslandsprojekten haben wir auch hier auf lokale Partner gesetzt. Hier unterstützte uns COWI AS bei der Genehmigung, der Ausschreibung und der Bauüberwachung.
Öffnung einer der Brückenflügel für ein Segelboot.WTM Engineers GmbH
Bewehrung des Hauptfundamentes.WTM Engineers GmbH
Flachere Boote gleiten mühelos unter der Brücke hindurch.WTM Engineers GmbH
NAX: Was haben Sie aus der Zusammenarbeit mit den dänischen Kollegen und Stakeholdern gelernt?
Fritz Hilgenstock: Meiner Erfahrung nach wird ein sehr kollegiales Verhältnis auch über die ohnehin flachen Hierarchieebenen gepflegt. Das Verhältnis „Vorgesetzter-Mitarbeiter“ ist häufig nicht zu erkennen.
Auch wird viel Rücksicht auf den Einzelnen und sein Privatleben genommen. Öffnungszeiten der Kita, Krankheiten der Kinder oder andere private Termine bestimmen die verfügbare Arbeitszeit ohne Tabus. Dies wird wiederum mit einer hohen Einsatzbereitschaft und Loyalität gedankt. Wer um 15 Uhr seine Kinder aus der Betreuung abholen muss, verschickt am selben Abend um 22 Uhr noch Protokolle.
Dies kompensiert die geringere Effizienz während des Tages und ermöglicht eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Blick ins Innere des Zuckersilo Nykøbing.WTM Engineers GmbH
NAX: Was empfehlen Sie Architekten und Ingenieuren, die in Dänemark ein Projekt umsetzen möchten?
Fritz Hilgenstock: Im Allgemeinen ist die Mentalität ähnlich zu Deutschland, vor allem im Vergleich zu anderen Kulturkreisen, wie z. B. dem arabischen Raum oder selbst den Vereinigten Staaten. Mit der Zeit werden dann aber doch Unterschiede erkennbar.
Auffällig ist, dass eine große Offenheit gegenüber neuen Ideen herrscht. Es wird mehr experimentiert in der Überzeugung, Ungeklärtes lässt sich später noch klären. Das befreit den Geist und ermöglicht Neues zu denken, führt aber später zu Herausforderungen, wenn es um die Umsetzung geht.
Die Kommunikation in Dänemark scheint weniger formal und fokussiert. Der freundliche Umgangston lässt Kritik nicht leicht erkennen. Wir mussten des Öfteren darauf hinweisen, dass unsere direktere Art nicht unhöflich aufgefasst werden sollte, bzw. dass die dänischen Kollegen Kritik oder Hinweise deutlich aussprechen müssen, damit sie von uns sicher wahrgenommen werden. Andersherum ist natürlich auch Sensibilität bei der Aufnahme von Rückmeldungen gefordert.
Blick in die Zukunft: Die Feste Fehmarnbeltquerung.Femern AS
NAX: Wie können Sie bei Ihrem aktuellen Projekt, der Fehmarnbeltquerung, einem Tunnel für Auto- und Schienenverkehr, der eine feste Verbindung zwischen Rødby in Dänemark und Puttgarden in Deutschland schaffen soll, von Ihrer (internationalen) Erfahrung profitieren?
Fritz Hilgenstock: Wir begleiten das Projekt seit einer langen Zeit. Wir starteten mit der Entwurfsplanung im Jahr 2009. Unsere Arbeit zog sich dann über die Erstellung der Planfeststellungsunterlagen, die Öffentlichkeitsbeteiligung und das Genehmigungsverfahren an sich, bis zum erfolgreichen Abschluss im Klageverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig unter strengen Coronabedingungen. Auch jetzt noch begleiten wir das Projekt in der Ausführung und prüfen die Planung der ausführenden Firmen auf Einhaltung der Planfeststellung und in statisch-konstruktiver Hinsicht.
In all diesen Phasen war eines deutlich zu erkennen: Abläufe, Planungstiefen und Leistungsaufteilungen, die uns hier in Deutschland so vertraut und durch z.B. die HOAIHOAI Honorarordnung für Architekten und Ingenieure auch klar geregelt sind, sind im Ausland nicht zwangsläufig genauso. Das erlebten wir bei Tätigkeiten im internationalen Kontext und zeigte sich dann auch bei diesem Projekt so. Unsere Erfahrung ließ uns darauf achten, dass nichts Unausgesprochenes als selbstverständlich angesehen wurde und dass alles beschrieben und definiert werden musste, um ein gemeinsames Verständnis zu erzielen.
Zeichnung: Der Tunnel im Querschnitt. Die einzelnen Elemente des Tunnels werden als Rechteckquerschnitt mit fünf Zellen – gleichbedeutend mit fünf Tunnelröhren – hergestellt, eingeschwommen und in einen vorher hergestellten Graben abgesenkt.Femern AS
NAX: Was ist aus Ihrer Sicht der größte Unterschied zum Bauen in Deutschland?
Fritz Hilgenstock: Dänemark ist ein relativ kleines Land mit weniger als 6 Mio Einwohnern. Vieles ist weniger anonym, man kennt sich. Nicht alles ist bis ins Kleinste geregelt, so dass auf die Erfahrung der Experten gehört wird, ohne dass diese eine passende Norm zugrunde legen müssen.
Die Unterschiede in der Planung liegen mehr im Detail sowie in der Ausgestaltung und Gewichtung der Planungsphasen.
Wie schon erwähnt, scheint es, unser Erfahrung nach, in Dänemark in frühen Planungsphasen eine höhere Risikobereitschaft bzw. eine höhere Akzeptanz von Unsicherheit zu geben, während in Deutschland schon stark auf Planungssicherheit geachtet wird. Ein „das klären wir später im Planungsablauf“ steht dann einem „auch für diese Untervariante benötigen wir eine detaillierte Kosten-Nutzen-Analyse“ gegenüber.
Die Bauausführung an sich ist dann wiederum sehr reglementiert. Durch den hohen Vorfertigungsgrad und den überwiegenden Einsatz von Fertigteilen muss alles im Vorfeld geklärt sein und Anpassungen vor Ort sind kaum noch möglich.
Der Tunnel im Querschnitt.: Je zwei Tunnelröhren werden als Autobahn bzw. für Schienenverkehr genutzt, die fünfte Röhre ist als Versorgungs- und Wartungsgang vorgesehen.Olaf_Malzahn, Femern AS
NAX: Was gibt es aus Ihrer Sicht bei der internationalen Zusammenarbeit generell zu beachten? Worauf kommt es an?
Fritz Hilgenstock: Was für Dänemark gilt, gilt auch generell im internationalen Kontext, die Planungsabläufe und Planungsstufen unterscheiden sich von den deutschen. Eine Klärung und Definition, was man bekommt und was man abgeben soll, ist unabdingbar. Die HOAI-Phasen und deren Leistungen entsprechen nicht genau den englischen RIBARIBA Royal Institute of British Architects-Phasen oder dem amerikanischen 30%-, 60%-, 100%- und IFC-Design.
Das führt dazu, dass man „Out-of-the-box“ denken muss. Je besser man sich an andere Gewohnheiten anpassen kann und ein anderes Zeitverständnis, eine andere Zuverlässigkeit und andere Erwartungen berücksichtigt, desto besser klappt die Zusammenarbeit.
Dafür suchen wir uns üblicherweise einen lokalen und vertrauenswürdigen Partner, der einen durch die unbekannten Welten navigieren kann. Oft helfen uns neben unserem lokalen WTM-Netzwerk, NAX-Bekanntschaften oder unser europäisches Netzwerk MERGE Consultants.
NAX: Herzlichen Dank für die interessanten Einblicke!