Im 14. Wiener Gemeindebezirk Penzing, auf dem Siemensgründe-Areal, dem ehemaligen Hauptsitz der deutschen Firma, ist 2023 ein Projekt entstanden, das sich traut, was sich in Deutschland nur Wenige trauen: dicht bauen. Das österreichische Büro LOVE architecture and urbanism hat auf einer Bruttogeschossfläche von 43.550 m², verteilt auf vier Gebäude, 274 Wohnungen geplant. BIG PEN ist Teil eines städtebaulichen Transformationsprozesses im ehemaligen Siemens-Areal, einem ehemaligen Industrie- und Bahnstandort, der schrittweise in ein durchmischtes Stadtquartier mit Wohnen, Arbeiten und öffentlichem Raum überführt wird. Das Projekt steht exemplarisch für jene qualitative Nachverdichtung, wie sie im Wiener Stadtentwicklungsplan STEP 2025 gezielt gefördert wird: kompakt, urban, flächeneffizient – und dabei mit hoher gestalterischer und sozialer Qualität.

BIG PEN | Wien | LOVE Architecture and UrbanismStefan Leitner
Die Stadt Wien verfolgt im STEP 2025 das Prinzip der „Stadt der kurzen Wege“ und die „intelligente Nutzung innerstädtischer Flächen“. Projekte wie BIG PEN zeigen, wie solche Strategien auch auf vermeintlich schwierigen Grundstücken – zwischen Verkehrsinfrastruktur, gewerblicher Prägung und Wohnquartieren – städtebaulich wirksam werden können.
Von der Fachwelt wurde BIG PEN als gelungenes Beispiel für zeitgemäßes, verdichtetes Wohnen mit hoher Lebensqualität aufgenommen. In der unmittelbaren Nachbarschaft war die bauliche Dichte durchaus Thema – umso spannender ist die Frage, wie sich Architektur, Stadtentwicklung und gesellschaftliche Akzeptanz hier produktiv miteinander verschränken lassen.
NAXNAX Netzwerk Architekturexport spricht mit Mark Jenewein, Partner bei LOVE und Projektverantwortlicher, über die gestalterischen Strategien, um mit hoher Dichte umzugehen – und warum es so wichtig ist, ein guter Nachbar sein zu wollen.
NAX: Herr Jenewein, BIG PEN ist ein selbst für Wiener Verhältnisse sehr dichtes Wohnquartier. Woraus resultierte diese hohe Dichte auf dem Gelände?
Jenewein: Bei dem Areal handelt es sich um das ehemalige Headquarter von Siemens, das die Buwog erworben hat. In den Bebauungsplan wurde dann auch das T-förmige Hauptgebäude von Siemens integriert. Die Buwog übertrug uns die Gestaltung von vier der insgesamt sechs geplanten Gebäude. Die größte Herausforderung des Grundstücks war der fast vier-geschossige topografische Unterschied zwischen dem oberen Plateau, wo sich der Zugang zur Fernbahn befindet und dem unteren Plateau mit dem Zugang zur S-Bahn. Daher musste das Gelände für die Bevölkerung barrierefrei erschließbar gemacht werden. Aus diesen Rahmenbedingungen ergab sich eine große bauliche Dichte, mit der wir architektonisch umgehen mussten.
NAX: Welche Strategie haben Sie gefunden, um in den engstehenden, hohen Gebäuden Wohnqualität und Privatheit zu schaffen?
Jenewein: Das Grundproblem der Dichte ist natürlich, das Gefühl zu haben, zusammenpfercht zu sein und dem Nachbarn auf die Pelle zu rücken. Um dieses Gefühl zu vermeiden, haben wir in dem größten, T-förmigen Baukörper die Zuschnitte der Wohnungen so angelegt, dass sich alle Wohnungen möglichst weit vom gegenüberliegenden Gebäude weg orientieren. So hat jede Wohnung eine Perspektive mit maximaler Weitsicht und möglichst wenig Blick ins Nachbarfenster. Für eine offene Atmosphäre und viel individuell gestaltbare Außenflächen hat jedes Zimmer in jeder Wohnung einen Balkon bekommen. Mittlerweile haben viele Bewohnerinnen und Bewohner die Balkone begrünt und nutzen sie ganz unterschiedlich. Dadurch ist die Struktur eines gewachsenen Organismus entstanden, der das Leben hinter der Fassade abbildet und viel zum Nachbarschaftsgefühl in der Siedlung beiträgt.
Im zweiten Baukörper, „Say Hello“, haben wir die Dichte anders interpretiert und uns von der angenehmen Enge italienischer Gassen inspirieren lassen. In „Say Hello“ liegen sich die Balkone nah gegenüber, sodass man zwischen ihnen fast eine Wäscheleine spannen kann – wie in Italien eben. Damit eröffnet sich eine ganz neue Ebene der Kommunikation zwischen den Bewohnern, die tatsächlich auch genutzt wird.
NAX: Welche Rolle spielt der Außenraum in dicht bebauten Wohnsiedlungen wie BIG PEN?
Jenewein: Wir entwickeln uns immer mehr zur Outdoorgesellschaft. Der öffentliche Raum wird heutzutage viel intensiver genutzt und ist viel belebter als noch vor einigen Jahrzehnten. Der Klimawandel und die aktuelle Tendenz zu immer kleineren Wohnungen verstärken diesen Trend. Der Außenraum muss gerade in dichten Bebauungen so gestaltet sein, dass er zu einem benutzbaren Teil der Wohnung wird. Vor allem bei hohen Gebäuen ist der Freiraum drumherum so etwas wie die fünfte Fassade. Er muss ein eigenes Bild zeichnen und die Nutzerinnen und Nutzer magnetisch anziehen. Bei BIG PEN bestand die Besonderheit zum einen in den topografischen Höhenunterschieden des Geländes und zum anderen in der Nutzung durch Bewohnerinnen und Bewohner der Siedlung sowie durch die allgemeine Öffentlichkeit auf dem Weg zur S- oder Fernbahn. Wir haben den Freiraum in unterschiedlich programmierte Felder unterteilt, in denen sich z.B. Kinderspielplätze und Erwachsenenspielplätze mit Schachbrettern und Sportgeräten abwechseln. Durchzogen von Muss- und Kann-Wegen umspielen diese unterschiedlichen Angebote die Gebäude und bilden so eine dynamische städtebauliche Welt.
NAX: Gab es Widerstände oder Skepsis gegenüber dem Projekt in der Öffentlichkeit?
Jenewein: Wir hatten Glück, dass im Rahmen der Ausarbeitung des Bebauungsplans bereits eine Bürgerbeteiligung stattgefunden hatte, in der die Bedürfnisse und etwaige Ängste der Anrainer berücksichtigt wurden. Aber klar: Wo gebaut wird, gibt es immer auch Kritik. In Wien herrscht, wie in Deutschland auch, teilweise eine gewisse Dichteangst. Umso wichtiger ist es, dieser Sorge mit durchdachter städtebaulicher Qualität und einem starken sozialen Miteinander zu begegnen.
NAX: Wie kann man die Akzeptanz von dichten Bebauungen in der Bevölkerung erhöhen?
Jenewein: Für eine nachhaltige Stadtentwicklung ist es wichtig, verdichtete Areale zu schaffen. Aber wer dicht plant, muss auch qualitätsvoll planen. Vor allem bei dichten Bauprojekten ist es wichtig, ein guter Nachbar sein zu wollen. Das schaffen wir als Architekten nur mit Entwürfen, die das Gefühl von Beengung aktiv aufbrechen – mit qualitätsvollen Fassaden, belebten Außenräumen, Kommunikationsangeboten und Räumen für soziale Interaktion. Gleichzeitig müssen wir eine Offenheit für Dichte in der Stadt bewahren und solchen Baumaßnahmen auch Raum geben.
NAX: Danke für den Einblick in dieses spannende Projekt!