In der HafenCity Hamburg ist mit dem Wohnhochhaus Moringa nun erstmalig auch ein C2C-inspiriertes Wohngebäude in Planung. Bei diesem reinen Mietgebäude wird das kreislauffähige Bauen vor allem im Hinblick auf die Massentauglichkeit geprüft. Jasna Moritz, Geschäftsführerin des NAXNAX Netzwerk Architekturexport-Patenbüros kadawittfeldarchitektur, berichtet über ihre Erfahrungen im Bauen nach dem Cradle to Cradle-Prinzip und beantwortet Fragen zu Mehrwerten, Besonderheiten, Hürden, Kosten und Chancen der C2C-basierten Planung.
NAX: Liebe Frau Moritz, mit der aktuellen, überfälligen Klima- und Nachhaltigkeitsdebatte rückt das Thema Cradle to Cradle immer mehr in den Fokus. Mit der „Zeche Zollverein“ und dem Moringa-Projekt hat kadawittfeldarchitektur bereits Erfahrungen im Cradle to Cradle-basierten Bauen gewinnen können und ist schon jetzt „one step ahead“. Wie würden Sie die Besonderheiten von C2C-Projekten wie diesen beschreiben?
Jasna Moritz: Die C2C-inspirierten Projekte sind so spannend, weil sie vieles verbinden. Konkret wurden für das RAG-Kreislaufhaus vier C2C-Ziele formuliert: Es sollte positiv für Mensch und Natur sein, eine gesunde, flexible Arbeitsumgebung bieten, als Energielieferant und als Rohstoffdepot wirken. Ein Dachgarten dient als Aufenthaltsort, übernimmt kühlende und luftreinigende Funktion für das Umfeld, erzeugt Sauerstoff und trägt zur Biodiversität bei. Das Gebäude nutzt mit Photovoltaik und Erdwärme regenerative Energien. Die Verwendung gesunder Materialien sorgt für herausragende Luftqualitäten im Innenraum. Um die Rohstoffe weiter- und wiederverwenden zu können, wurde bei Planung und Ausführung auf sortenreine Trennbarkeit, Demontierbarkeit und Schadstofffreiheit der verwendeten Baustoffe geachtet. Das RAG Kreislaufhaus war bei seiner Realisierung Pilotprojekt für das im Rahmen des 2015 gestarteten EUEU Europäische Union-Forschungsprojekts ‚Buildings as Material Banks (BAMB)’. Dabei wurden Informationen über Recyclingfähigkeit, Rohstoffwerte und Baubiologie der verwendeten Materialien in einem Material-Passport abgebildet.
In der HafenCity Hamburg ist mit dem Wohnhochhaus Moringa nun erstmalig auch ein C2C-inspiriertes Wohngebäude in Planung. Hinsichtlich des Cradle-to-Cradle-Prinzips können wir hier – mit rund fünf Jahren Erfahrungsgewinn und neuen Entwicklungen im Materialbereich- viel weiter gehen als bei dem o.g. Verwaltungsgebäude. Bei diesem reinen Mietgebäude wird das kreislauffähige Bauen vor allem im Hinblick auf die Massentauglichkeit geprüft.
Mit Grünflächen im Hof, auf den Dächern und vor allem an den Fassaden entsteht insgesamt, horizontal und vertikal, mehr Grünfläche als überbaut wird, so dass die Effekte auf Klima, Artenvielfalt und Erholung viel größer sind als noch beim Kreislaufhaus. Die horizontalen Grünflächen dienen als Retentionsflächen und zur Gewinnung regenerativer Energie, vor allem aber der privaten und gemeinschaftlichen Nutzung, für Erholung, Urban Farming, Arbeiten und Austausch. Durch ein ausgeklügeltes Wassermanagement, das Regen- und Grauwasser nutzt und Regenwasser zurückhält, kann der prognostizierte Wasserverbrauch zu fast 80% durch den Betriebswassereintrag gedeckt werden.
NAX: Wie unterscheidet sich der Planungsprozess bzw. die verschiedenen Planungsphasen bei einem C2C-Projekt im Gegensatz zu herkömmlichen Bauprojekten?
Jasna Moritz: Architektur braucht dialogisches Arbeiten, mit Bauherren, Nutzerinnen, Fachleuten, Industrie, Öffentlichkeit und Offenheit für deren Bedürfnisse und Expertisen. Für C2C gilt das im Besonderen: Es geht nicht um Ideologie, sondern immer wieder neu darum, gemeinsam zu erkunden, was machbar und sinnvoll ist. Der Planungsprozess ist komplexer, da man viele Aspekte und Zusammenhänge im Blick haben muss: Es geht um Dauerhaftigkeit, Rezyklierbarkeit und gesunde Materialien, um demontierbare Konstruktionen, Gewichtseinsparungen, um CO2-Bilanzen, Transportwege, Wasser und Energie, es geht aber auch um Umnutzung, Biodiversität und soziale Aspekte.
All das erfordert einen intensiveren Austausch zwischen den Beteiligten und die glückliche Kombination verschiedener Partner, die an einem Strang ziehen. Es bedarf eines frühen gemeinsamen Bekenntnisses seitens des Bauherrn und des Projektentwicklers, die den Wunsch nach einem nachhaltigen, gesunden, sozialen und kreislauffähigen Gebäude formulieren, und aller Planer, die die nötige C2C-Expertise mitbringen. Beim Planen nach C2C spielen Fragen der verwendeten Materialien und deren Fügung schon in frühen Planungsphasen und nicht erst bei der Ausschreibung eine entscheidende Rolle. Die Recherche-Arbeit ist eine andere als bei tradierten Projekten. Dabei ist es absolut vorteilhaft, auf einen gewissen Erfahrungsschatz zurückgreifen zu können.
NAX: Welche Mehrwerte haben auf C2C-Kriterien basierende Gebäude in ökologischer, sozialer und gesundheitlicher Hinsicht?
Jasna Moritz: Bei C2C handelt es sich um eine Denkschule, die ein Umdenken einläuten möchte: Kernziel ist es, für Mensch, Umwelt und Wirtschaft einen positiven Beitrag zu schaffen. Ökologische Vorteile sind die Vermeidung von Abfällen, der Verzicht auf gesundheits- und umweltschädliche Materialien und die Rückführung der Materialien nach ihrer in einen biologischen oder technischen Kreislauf, so dass Ressourcen geschont werden. Schon bei der Herstellung werden ökologische, aber auch soziale Aspekte im Sinne einer gesamten Lebenszyklusbetrachtung ins Visier genommen.
Sozialer Mehrwert ist die Förderung von kultureller oder biologischer Diversität. Durch die Schaffung von Gemeinschaftsflächen wie Gärten, Co-Working- oder Co-Living Spaces, lässt sich der informelle Austausch unter Bewohnern, Nutzern und Nachbarn fördern, gleichzeitig werden räumlichen Qualitäten breiteren Gruppen zugänglich und damit sozial gerechter verteilt. Gärten und Begrünung fördern die Artenvielfalt von Flora und Fauna.
Gesundheitliche Mehrwerte sind zum einen die mikroklimatischen Verbesserungen im unmittelbaren Umfeld und dem weiteren Quartier, wie z.B. Feinstaubbindung, Sauerstoffproduktion, Luftkühlung durch Dachgärten und Fassadenbegrünungen. Zum anderen sind aber auch die unmittelbaren Verbesserungen der Raumluftqualität zu nennen. Durch den völligen Verzicht auf ausdünstende Schadstoffe kann man maßgeblich zur Gesundheit und Zufriedenheit der Nutzenden beitragen, wie uns Bauherrn spiegeln, deren Mitarbeitende nicht mehr unter Kopfschmerzen am Arbeitsplatz leiden.
NAX: Wo stößt die Umsetzung des Cradle to Cradle-Prinzips noch an seine Grenzen – sprich: für welche Probleme gibt es noch keine Lösungen, wo ist ist noch politisches Reglement gefragt?
Jasna Moritz: Um Bauherrinnen zum Umstieg auf umweltfreundliche Alternativen zu bewegen, braucht es Anreize aus der Politik, die nachhaltige Bauvorhaben und langfristige Bauvorhaben deutlich stärker bezuschussen sollte als bisher. Denn nicht alle beteiligten Akteure verfolgen langfristige Ziele.
Bei bestimmten Typologien oder großen Bauvorhaben sind uns aktuell noch Grenzen gesetzt. So ist es bei einem Wohnungsbau wie Moringa gar nicht möglich zu 100% kreislaufgerecht zu bauen. Aus Brandschutz- und statischen Gründen können wir nicht ganz auf Stahlbeton verzichten. Wir reduzieren ihn jedoch auf ein möglichst geringes Maß (Stahlbetonskelettbau) und setzen Recycling-Beton ein, da sich dessen Qualität und Verfügbarkeit stetig weiterentwickelt.
Wir befinden uns in einer Umbruchphase, wo im Material- und Baustoff-Bereich vieles noch nicht hundertprozentig geklärt oder abrufbar ist. So könnte es einheitlichere Kriterien und besser vernetzte Datenbanken geben. Es gibt zahlreiche Zertifikate im Baustoffbereich, die aber nicht alle glaubwürdig oder umfassend genug sind, um Materialien hinsichtlich ihrer C2C-Tauglichkeit beurteilen zu können. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir durch den Austausch unter uns Planern, mit Herstellern und dank Initiativen wie der Phase Nachhaltigkeit der DGNBDGNB Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen e.V. in ein paar Jahren weiter sind.
NAX: Viele Planende stehen Cradle to Cradle-Projekten nach wie skeptisch gegenüber. Viele wissen im Detail noch gar nicht, was C2C genau bedeutet oder sie befürchten, das Planungsprinzip würde höhere Kosten verursachen. Welche Erfahrungen haben Sie bei ihren C2C-Projekten hinsichtlich der Kosten gemacht?
Jasna Moritz: Unserer Erfahrung nach ist mit erhöhten Baukosten von ca. fünf bis zehn Prozent zu rechnen. Dabei sind nachhaltige Materialien nicht zwangsläufig teurer als Vergleichsprodukte.
Seitdem wir über Nachhaltigkeit im Bauwesen sprechen, wissen wir, dass bei der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung nicht nur die der Erstinvest, sondern die Lebenszykluskosten betrachtet werden müssen. Durch das Schaffen eines Gebäudes, das eine positive Wirkung auf Menschen und Umwelt hat, lassen sich zufriedenere Bewohnende und Mitarbeitende, eine höhere Produktivität, ein besseres Image erreichen. Attraktiv am C2C-Gedanken ist in finanzieller Hinsicht vor allem, dass Gebäude wie Rohstofflager verstanden werden können, so dass die Investition nicht ‚verloren‘, sondern lediglich ‚geparkt‘ werden, wodurch sich auch ganz andere Finanzierungsmöglichkeiten und Kredite ergeben. Wir müssen Investitionen im Zusammenhang mit diesen Benefits und anderen Finanzströmen wie Betriebskosten und Restwerten lesen und bewerten. So betrachtet, sind die C2C-Gebäude nicht teurer, sondern vielleicht sogar kostengünstiger, dank gesünderer Nutzender, geringerer Betriebskosten und des Restwerts von Materialien.
NAX: Vielen Dank , liebe Jasna, für die interessanten Einblicke in eure wegweisenden Projekte!