Spanien hat in den letzten Jahren einen beeindruckenden Anstieg im Baugewerbe verzeichnet. Der Bedarf an innovativen und qualifizierten Architektinnen und Architekten ist hoch, da zahlreiche Wohn- und Gewerbeimmobilienprojekte sowie Infrastrukturvorhaben realisiert werden sollen. Allerdings befindet sich die spanische Baubranche fest in einheimischer Hand und ein Markteintritt für ausländische Unternehmen gestaltet sich als herausfordernd. NAXNAX Netzwerk Architekturexport-Paten Kilian Kresing (KRESINGS), und Armand Grüntuch (Grüntuch Ernst Architekten) berichten von ihren Erfahrungen mit Projekten auf Mallorca und in Madrid.
NAX: Deutsche Architekturschaffende sind weltweit für ihre hohen Qualitätsstandards, Präzision und Effizienz bekannt. Passen diese Kriterien auch zu den Anforderungen des spanischen Marktes oder stehen hier andere Merkmale im Vordergrund?
Kresing: Mein Eindruck ist, dass insbesondere das Qualitätsniveau der Architektur bzw. des Entwurfs höher aufgehängt ist. Im Detail bzw. bei der Umsetzung sind mehr Freiheiten möglich als bei uns. Das macht natürlich Spaß.
Grüntuch: Es gibt viele Überschneidungen mit dem spanischen Markt. Ab einer gewissen Projektgröße wird das Feld überwiegend durch wenige Generalunternehmer bestimmt und besonderer Wert auf Effizienz gelegt. Qualtiäts- und Präzisionsstandards sind regional sehr unterschiedlich und hängen von der Nähe zur Industrie ab. Wichtig sind aber auch eine hohe Flexibilität und eine Verbindlichkeit im persönlichen Gespräch und in der Kommunikation.
NAX: Wie unterscheidet sich das Planen und Bauen in Spanien generell von dem in Deutschland?
Kresing: Grundsätzlich ist uns schnell bewusst geworden, dass Planen und Bauen auch weniger kompliziert als in Deutschland sehr gut funktioniert. Die Absprachen mit den Ämtern waren allerdings sehr ähnlich.
Grüntuch: In der Regel unterscheidet es sich vor allem in der Planungstiefe. In Spanien findet eine stärkere Trennung zwischen gestalterischen Fragen und der technischen Umsetzung statt. Die Arbeit des Architekten, der Architektin besteht eher in der Aufgabe, eine genehmigungsfähige Lösung zu erarbeiten und diese in Materialen und Oberflächen zu beschreiben. In den meisten Projekten einer gewissen Größe wird, wie gesagt, die Realisierung durch wenige große Generalunternehmer abgewickelt, die als Ausführungsplanende und Baufirma fungieren. Häufig kommt es zu Alternativvorschlägen, die durch das Architekturbüro lediglich gestalterisch beurteilt werden.
Hinsichtlich der Genehmigung gibt es zwei unterschiedliche Instanzen: zum einen die staatlichen Genehmigungsbehörden und zum anderen die Architektenkammern. Die Kammern fungieren dabei zum Teil als Vorprüfer, bei einigen Vorgängen jedoch auch als Hauptprüfer. Alle Verfahren sind sehr formalisiert, direkte persönliche Abstimmungsgespräche sind noch schwieriger als in Deutschland. Genehmigungsrechtlich spielt die Haustechnik in Kombination mit dem konstruktiven und bauordnungsrechtlichen Brandschutz eine fast noch wichtiger Rolle in Spanien als die Architektur. Die Planung liegt in der Hand eines Spezial-Ingenieurbüros, das diese Disziplinen in Gänze abdeckt. Breits in der Genehmigungsphase müssen Nachweise zur Einhaltung zahlreicher Normen erbracht werden.
Die Ausschreibung ist in der Regel sehr allgemein gehalten und vergleichbar mit einer sehr einfachen, funktionalen Leistungsbeschreibung. Eine Ausschreibung und Abrechnung nach Aufmaß und Einzelpositionen ist ungewöhnlich, zum Teil sogar unbekannt.
In der Bauausführung entfällt die Person der Prüfstatikerin, dafür kommt als Prüfinstanz der sogenannte Aparejador hinzu – eine Mischform aus statischer Prüfinstanz, baukonstruktiver Kontrolle und Qualitätsmanager. Der Akt der Inbetriebnahme ist ebenfalls stark formalisiert und schließt zahlreiche Begehungen vor Ort mit ein.
NAX: Europaweit wächst das Bewusstsein für Nachhaltigkeit im Baugewerbe. Wir hoch ist die Nachfrage in Spanien nach Architekten, die sich auf umweltfreundliche und energieeffiziente Designs spezialisiert haben?
Kresing: Lokale Baustoffe waren für unser Projekt von Anfang an gesetzt. Über die Adaptierung der ansässigen Architektursprache waren baulicher Sonnenschutz und natürliche Kühlung schon verankert. Haustechnik ist im Gegensatz zu unseren Standards fast schon Low-Tech. Wir haben wahrscheinlich mehr mitgenommen als mitgebracht.
Grüntuch: Umweltfreundlichkeit und Energieeffizienz im Sinne entwurflicher Grundsätze und haustechnischer Lösungen sind präsent. Themen wie die Umweltverträglichkeit von Materialen, Graue Energie und Cradle-to-Cradle werden weniger intensiv diskutiert als in Deutschland.
NAX: Herr Kresing, 2017 haben Sie auf Mallorca das Carrer del Sol N° 3 saniert. Was zeichnet dieses Projekt aus und wie sind Sie an den Auftrag gekommen?
Kresing: Das sehr kompakte Haus ist städtebaulich gut eingebunden. Inmitten des alten Dorfkerns haben wir versucht, sowohl die Stärken der Architektur weiter auszubauen als auch vorhandene Mängel umzukehren. Das Haus stand lange zum Verkauf, weil zumindest für ausländische Käufer viele Aspekte wie Pool, Patio oder Grundstück nicht erfüllt sind. Wir haben uns dem Projekt dann selbst angenommen. Mein Studium in Madrid hat dabei auch sprachlich natürlich geholfen.
NAX: Herr Grüntuch, 2016 haben Sie die Deutsche Schule Madrid gebaut. Auch hier die Fragen: Was zeichnet dieses Projekt aus und wie sind Sie an den Auftrag gekommen?
Grüntuch: Die Deutsche Schule in Madrid, 1896 gegründet, zählt zu den ältesten und mit 1.800 Schülerinnen auch zu den größten deutschen Auslandsschulen. Sie ist ein wichtiger Ort des kulturellen Austauschs in der Stadt. Am damals neuen Standort im Norden von Madrid wurden den verschiedenen Nutzungen separate Baukörper zugewiesen, die über Foyerhöfe zu einem Ensemble gefasst wurden. Die drei Hauptgebäude für Kindergarten, Grundschule und Gymnasium umschließen jeweils einen introvertierten Patio, der sich zur Landschaft der angrenzenden Sierra mit ihren schneebedeckten Bergen öffnet. Die geometrisierte Landschaft aus Treppen, Rampen und Versprüngen folgt der Topografie des Grundstücks und bringt mit den lebhaften Licht- und Schattenspielen der perforierten Dächer und Fassaden differenzierte Raumsituationen hervor. An den Auftrag sind wir über den 2009 gewonnenen Wettbewerb gekommen.
NAX: Herr Kresing, wie haben Sie Ihr Projekt organisatorisch bewältigt – hatten Sie ein Team in Spanien oder haben Sie aus Deutschland geplant? Haben Sie hauptsächlich mit deutschen oder spanischen Firmen zusammengearbeitet?
Kresing: In Spanien sind die notwendigen Beteiligten etwas anders als bei uns. So ist ein „Architecto technico“ zwingend erforderlich. Die Planung und Genehmigung haben wir mit spanischen Mitarbeitenden aus unserem Team in Deutschland bewältigt. Die ausführenden Firmen waren alle lokal. Die Bauleitung haben wir selbst gemacht, was aufgrund der Entfernung mit weniger Terminen auskommen musste.
NAX: Herr Grüntuch, haben Sie die Deutsche Schule in Madrid von Deutschland aus geplant?
Grüntuch: Das Projekt wurde während der Planungsphase hauptsächlich aus unserem Büro in Berlin organisiert. Für übergeordnete Themen haben wir mit Kontaktarchitektinnen und Kontaktingenieuren sowohl in Berlin als auch vor Ort in Madrid zusammengearbeitet. In der Bauausführung war nahezu das komplette Team vor Ort, einige Personen sind im Wochenrythmus aus Deutschland gependelt. Die Ausschreibung musste europaweit erfolgen. Bis auf wenige Spezialthemen erfolgte die Bauausführung ausschließlich mit spanischen Firmen aus der Region in und um Madrid.
NAX: Gab es dabei besondere Herausforderungen?
Grüntuch: Bei dem Projekt handelt es sich um einen Auslandsbau der Bundesrepublik Deutschland auf spanischem Grund. Daher mussten in nahezu allen Fällen sowohl die spanischen Genehmigungsgrundlagen und Normen eingehalten werden als auch die deutschen, in Nordrhein-Westfalen gültigen (Sitz des BBR ist Bonn). So hatten wir häufig doppelte Standards zu erfüllen. Bei Widersprüchen mussten schwierige Kompromisse ausgehandelt und behördlich abgesichert werden. Die größte Herausforderung bestand darin, die ungenügende Harmonisierung europäischer Normen und Bauvorschriften für ein einziges Bauvorhaben zum Funktionieren zu bringen – gepaart mit einem doppelten Sprachraum. Gerade im Bereich der Elektrotechnik mit dem Unterschied des TT-Netzes (Spanien) und TN-Netzes (Deutschland) mit einer komplett anderen Führung der Erdung in allen wesentlichen Systemen, hat uns zum Teil vor nahezu unlösbare Herausforderungen gestellt. Ohne Unterstützung durch lokale Ingenieure im technischen Bereich wäre die Planung und Ausführung nicht möglich gewesen.
NAX: Herr Kresing, was würden Sie deutschen Architektinnen und Architekten, die in Spanien tätig werden wollen, raten?
Kresing: Obwohl wir in Deutschland nicht verwöhnt sind in Bezug auf Genehmigungsfristen, so muss man sich wohl auf darauf einstellen, dass in Spanien noch mehr Geduld vorausgesetzt werden muss. Darüber hinaus hatten wir uns farbliche Akzentuierungen in dem Projekt Carrer del Sol N° 3 leichter vorgestellt. Regularien haben wir am Ende etwas „gebogen“, was möglich war, aber sehr viel Fingerspitzengefühl bedurfte.
NAX: Herzlichen Dank an Sie beide für die interessanten Einblicke!