Ruth Schagemann ist Architektin und seit 2021 Präsidentin des Architects‘ Council of Europe (ACE). Im November 2023 wurde sie für eine weitere zweijährige Amtszeit (24/25) zur Präsidentin des ACEACE Architects’ Council of Europe Conseil des Architectes d’Europe wiedergewählt. Daneben ist sie auch Geschäftsführerin der Geschäftsstelle Brüssel der Bundesarchitektenkammer (BAKBAK Bundesarchitektenkammer). NAXNAX Netzwerk Architekturexport hat mit ihr über Ziele, Herausforderungen und Erfolge des ACE gesprochen.
NAX: Die meisten Leserinnen und Leser sind wahrscheinlich nicht sehr vertraut mit dem Architects‘ Council of Europe (ACE). Was ist und macht der ACE?
Beim Architects‘ Council of Europe (ACE) handelt es sich um den einzigen europäischen Architektenverband. Nächstes Jahr feiern wir 35-jähriges Jubiläum. In den letzten zwei Jahren sind wir gewachsen, was das deutliche Interesse der europäischen Architektenschaft zeigt, Teil der europäischen Familie zu sein. Unser Ziel ist es, mit einer gemeinsamen Stimme zu sprechen. Der ACE besteht aus 51 Mitgliedsorganisationen, wir vertreten über 600.000 Architekten aus 36 Ländern. Zu den Ländern zählen die 27 EUEU Europäische Union-Mitgliedssaaten sowie das Vereinigte Königreich, Schweiz und Norwegen. Sechs Länder haben Beobachterstatus: Ukraine, Montenegro, Republik Mazedonien, Moldova, Kosovo und Serbien.
NAX: Wenn der ACE mit einer Stimme spricht, was sind die Themen? Wie würden Sie die wichtigsten Aufgaben und Prioritäten des ACE definieren?
Wir agieren als gemeinsame Stimme des Berufsstandes der Architektinnen und Architekten gegenüber den EU-Institutionen und bieten eine effektiv vernetzte Vertretung der Architektinnen und Architekten und ihrer Büros in der EU.
Unsere Arbeit zielt darauf ab, die Gesetzgebung und Politikgestaltung der Europäischen Union zu beeinflussen und für Institutionen wie das Europäische Parlament, die Europäische Kommission und den Europäischen Rat eine bedeutende und anerkannte Informationsquelle zu relevanten Themen für den Berufsstand der Architekten in Europa zu sein. Bei dieser Arbeit muss die Bedeutung der Architektenschaft bei der Schaffung eines wettbewerbsfähigen, bereichernden, vielfältigen und nachhaltigen Europas klar herausgestellt werden.
NAX: Was wurde aus Ihrer Sicht in den letzten Jahren erreicht?
Mit dem Paradigmenwechsel beim Umgang mit der bebauten und unbebauten Umwelt ist Europa in eine neue Phase seiner Geschichte eingetreten. Der Wandel muss jetzt stattfinden, denn die Zukunft der nächsten Generationen steht auf dem Spiel. Angesichts des Klimawandels, der Ressourcenknappheit und der Energiekrise will Europa bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent werden. Um diesen Wandel zu erreichen, hat sich die Europäische Union im Rahmen einer breit angelegten Klimawandel- und Resilienzstrategie (Green Deal, Klimagesetz, Sanierungswelle) explizit der bebauten und unbebauten Umwelt gewidmet. Mit dem Neuen Europäischen Bauhaus (NEBNEB Neues Europäisches Bauhaus) steht zum ersten Mal auch die Qualität unserer gebauten Umwelt im Mittelpunkt dieses Wandels: Sie soll schön, nachhaltig und integrativ sein. Endlich werden diese Werte auf europäischer Ebene nicht nur wahrgenommen, sondern auch in Gesetzgebungsverfahren, Empfehlungen und nationalen Aktivitäten berücksichtigt. Hierfür möchte ich drei Beispiele nennen:
Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (EPBDEPBD Energy Performance of Buildings Directive): Zusammen mit anderen Interessengruppen hat sich der ACE aktiv für eine ehrgeizige Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäude-Richtlinie (EPBD) eingesetzt. Trotz aller politischen Widrigkeiten konnten eine Verpflichtung zur Berechnung des Treibhauspotenzials (GWP) über den gesamten Lebenszyklus neuer Gebäude in die Richtlinie (bis 2028 für alle neuen Gebäude mit einer Nutzfläche von mehr als 1000 Quadratmetern und ab 2030 für alle neuen Gebäude) eingebracht werden. Der Indikator, der den Gesamtbeitrag des Gebäudes zu den klimawirksamen Emissionen angibt, ist ein erster Schritt zu einer stärkeren Berücksichtigung der gesamten Lebenszyklusleistung von Gebäuden und einer Kreislaufwirtschaft. Und die Beibehaltung der Anforderungen für die Einführung von Mindestnormen für die Gesamtenergieeffizienz (MEPS) für den Nichtwohnungssektor war auch ein wichtiger Punkt.
Die Wohnungskrise in den europäischen Ländern ist gekennzeichnet durch einen Mangel an bezahlbarem Wohnraum und die schlechte energetische Qualität einer beträchtlichen Anzahl von bestehenden Wohnungen. Das Ziel ist es, den Wohnungsbau in ganz Europa zu verändern. Der ACE fordert, dass bezahlbarer und qualitativ hochwertiger Wohnraum für alle als eine Angelegenheit von allgemeinem Interesse betrachtet wird und eine öffentliche Priorität wird. Wir begrüßen es sehr, dass unter spanischer Ratspräsidentschaft der Aspekt der Qualität in der von den europäischen Wohnungsbauministern unterzeichneten Gijon-Erklärung, aufgenommen wurde.
Die nationale Umsetzung des spanischen Architekturgesetzes, in dem die Qualität zu einem Hauptkriterium bei der öffentlichen Auftragsvergabe wird, ist das Ergebnis der engen Zusammenarbeit zwischen dem Consejo Superior de los Colegios de Arquitectos de España (CSCAECSCAE Consejo Superior de los Colegios de Arquitectos de España) und dem ACE. Sie ist letztlich dem mutigen Handeln unserer spanischen Kolleginnen und Kollegen auf nationaler Ebene zu verdanken, die diese Initiative dann Hand in Hand mit ihren Ministerien weiterentwickelt haben.
NAX: Im November wurden Sie für eine zweite zweijährige Amtszeit als ACE-Präsident gewählt. Was sind Ihre Hauptziele für die nächsten zwei Jahre?
Sie können sich vorstellen, dass ich mich sehr über meine Wiederwahl gefreut habe. Das Maß des Vertrauens, das mir die Kolleginnen und Kollegen aus den Mitgliedsorganisationen entgegengebracht haben, war für mich überwältigend. Es ist mir eine Ehre, unseren Berufsstand in Europa zu vertreten, weil ich fest daran glaube, dass wir mit der dem Berufsstand eigenen Kreativität, Innovationsfreude, technischem, ökologischem und ökonomischem Verantwortungsbewusstsein und letztlich der Fähigkeit, pragmatisch Probleme zu lösen, Antworten auf die großen Herausforderungen unserer Zeit anbieten können. Gleichzeitig werden wir aber nicht allein die Welt retten können. Wir brauchen die Unterstützung der Politik, zum Beispiel durch eine anwenderfreundliche Vergabepolitik, die unsere Büros in Europa bei der Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen unterstützt und den Qualitätswettbewerb vor den Preiswettbewerb stellt. Oder im Bereich der künstlichen Intelligenz, die unseren Beruf stark verändern wird. Der Einsatz intelligenter Algorithmen und automatisierter Prozesse verspricht einerseits Effizienzgewinne, wirft aber auch viele rechtliche und ethische Fragen auf. Zum Beispiel: Wie muss ein modernes Urheberrecht aussehen und wie ist mit den Nutzungsrechten von Daten umzugehen? Der Einsatz von künstlicher Intelligenz in unseren Büros ist bereits Realität und keine Fiktion. Das sind zwei Beispiele, die ich hier nennen möchte, aber der Rahmen, der aus meiner Sicht alle Aktivitäten des ACE zusammenhält, ist das gemeinsame Ziel: Unsere gebaute Umwelt so zu verändern, dass nicht nur wir, sondern auch nachfolgende Generationen sicher und gesund in ihr leben können.
Als ACE-Präsidentin werde ich das Bewusstsein der Gesellschaft für den Wert der Architektur und der Architektinnen weiter fördern. Ich werde dafür sorgen, dass der Zusammenhalt der Mitgliedsorganisationen weiter wächst, damit wir in Europa voneinander lernen und uns gegenseitig unterstützen können. Wir werden als Verband unsere bestehenden internationale Verbindungen vertiefen und erweitern, denn die nötigen Veränderungen machen nicht an Europas Grenzen Halt.
NAX: Wir danken Ihnen recht herzlich für den Einblick!
Veranstaltungshinweis
Als Satelliten-Event des New European Bauhaus Festivals veranstaltet der ACE die Konferenz „Sharing common values: Internationalisation of the profession and the New European Bauhaus“, bei der die Herausforderungen des grenzüberschreitenden Planen und Bauens diskutiert werden.
Sharing common values: Internationalisation of the profession and the New European Bauhaus
Datum: 18.4.2024, 9.00 – 17.00 Uhr
Ort: CIVA, Auditorium, Rue de l’Ermitage 55, 1050 Bruxelles